Verfassungsschutz deckte späteren La Belle-Drahtzieher

■ Der mutmaßliche Organisator des Attentats auf die Diskothek La Belle, Jassir Chraidi, war für den Verfassungsschutz kein Unbekannter/ Obwohl als Mörder gesucht, ließ der Geheimdienst ihn mehrfach laufen

Berlin (taz) — Seit Monaten fahndet die Berliner Polizei nach dem Palästinenser Jassir Chraidi. Chraidi, der in den Stasi-Akten zum Anschlag auf die Westberliner Diskothek La Belle unter dem Decknamen „Nuri“ geführt wird, gilt als Drahtzieher des Bombenattentats, bei dem am 5. April 1986 drei Personen getötet und mehr als 200 Besucher der Disco verletzt worden waren. Bisher zeigen die polizeilichen Bemühungen jedoch wenig Erfolg. Ein angeblicher Handlanger Chraidis, Ali Mansour, war Anfang August dieses Jahres verhaftet worden, mußte aber wieder freigelassen werden, weil die Beweislage zu dünn war.

Dabei ist die mutmaßliche Schlüsselfigur des folgenschweren Attentats dem Berliner Verfassungsschutz kein Unbekannter. Auf dem Papier fahndet die Polizei nach dem staatenlosen Palästinenser Chraidi nicht erst seit bekanntwerden der Stasi-Unterlagen, sondern bereits seit Juli 1984.

Am 30. Juli 1984 wurde in Westberlin der Libyer Mustafa el-Ashek ermordet — alle Indizien deuteten auf eine geplante Liquidation im Geheimdienstmilieu hin. El-Ashek galt als Offizier des libyschen Geheimdienstes, der offenbar aussteigen wollte und von seinen Genossen auf endgültige Art und Weise daran gehindert wurde. Der Verdacht richtete sich denn auch gegen ein von Libyen geschicktes Killerkommando, dem außer einem gewissen Ghassan Ayoub niemand anderes als Jassir Chraidi angehörte. Offiziell wurde die Sache vertuscht. Aus Rücksicht auf die Beziehungen zu Libyen erklärten die Ermittlungsbehörden, es habe sich vermutlich um einen Racheakt unter Rauschgifthändlern gehandelt (el-Ashek hatte zur Tarnung mit Haschisch gedealt).

Nach einem der taz vorliegenden Schriftstück, das sich auch in den Akten des Landesamtes für Verfassungsschutz befindet, hätte die Polizei in den letzten Jahren mehrfach die Gelegenheit gehabt, Chraidi zu verhaften — wenn sie vom Geheimdienst informiert worden wäre. Mehrfach, so hält ein amtsinterner Dissident in dem genannten Schriftstück fest, sei Chraidi unter dem Decknamen „Yousef Salam“ in der Stadt gewesen und trotz der gegen ihn ausgeschriebenen Fahndung unbehelligt geblieben.

Der Berliner Verfassungsschutz durch seinen V-Mann Mohammed Ashur, der drei Wochen nach dem Anschlag auf La Belle ebenfalls ermordet wurde, über die Aktivitäten des libyschen Geheimdienstes gut im Bilde. Noch am 27. März 1986, eine Woche vor dem großen Knall in der Diskothek hätte die Polizei die Möglichkeit gehabt, zuzugreifen. Zusammen mit einem anderen als Geheimdienstmann bekannten Libyer reiste Jassir Chraidi über den damaligen Ausländerübergang „Checkpoint Charlie“ von Ost- nach West- Berlin. Offenbar gab es zu diesem Zeitpunkt in bundesdeutschen und amerikanischen Geheimdienstkreisen bereits konkrete Hinweise auf eine Attentatsvorbereitung, gegen eine amerikanische Einrichtung im Westteil der Stadt. Die beiden Besucher aus Ost-Berlin wurden festgehalten und der Begleiter von Chraidi gleich wieder nach Ost-Berlin zurückgeschickt. Ausgerechnet aber Chraidi, nach dem die Polizei bereits seit Juli 84 fahndet, konnte unbehelligt von Ost nach West und wieder nach Ost-Berlin zurückreisen.

Dieser, später als Fahndungspanne deklarierte Vorfall, erscheint allerdings in einem neuen Licht, wenn sich bestätigt, daß es der Verfassungsschutz bereits vorher mehrfach unterlassen hat, die Polizei auf Chraidi hinzuweisen. Warum wurde der Mann gedeckt? Berliner Verfassungsschutz und Innensenat mauern zu dieser Frage hartnäckig. Kenner der Berliner Szene haben dafür eine Erklärung parat: der große Bruder aus Washington hat in der ganzen Affäre seinen Daumen drauf. Immerhin waren die US-Amerikaner von dem Attentat in ganz besonderer Weise betroffen. Die Diskothek La Belle war ein bevorzugter Treffpunkt amerikanischer Soldaten — der Grund, warum der damalige US-Präsident Ronald Reagan das Attantat zum Anlaß nahm, seine Luftwaffe gegen Tripolis und Bengasi loszuschicken. Geheimdienstberichte, so Reagan, beweisen eindeutig die Täterschaft eines libyschen Kommandos. Jürgen Gottschlich