Sowjettruppen nach Gagausien

Moskau (adn/taz) — Unter unmittelbarem Kommando von Juri Schatalin, dem Chef der Spezialtruppen des sowjetischen Innenministeriums, sind zwei Regimenter dieser Truppe ins südliche Moldavien, das Siedlungsgebiet der Gagausen, vorgerückt. Die dortigen Freiwilligenverbände leisteten keinen Widerstand. Gleichzeitig zogen sich moldavische Milizen und Freiwillige — ungefähr 15.000 Mann — von der Gegend um Komrat, dem größten Ort Gagausiens, zurück. Über die südlichen Rayons war vorher vom moldavischen Parlament der Ausnahmezustand verhängt worden, um Wahlen der Gagausen zum Parlament der von ihnen gegründeten unabhängigen Sowjetrepublik zu verhindern. Am Wochenende hatte General Awdejenko vom sowjetischen Innenministerium, dessen in Moldavien stationierte Truppen formell dem moldavischen Innenminister Ion Costas, faktisch aber der Zentralregierung unterstellt sind, Vermittlungsgespräche zwischen Moldaviern und Gagausen geführt. Der Kompromißvorschlag, der im Gespräch ist, sieht vor, daß die Gagausen einerseits die Parlamentswahl aussetzen, die Moldavier andererseits den Beschluß ihres Parlaments suspendieren, wonach den Gagausen die territoriale Autonomie verweigert wird. Eine Einigung wird schwierig werden, denn bislang hat die moldavische Regierung den 150.000 Gagausen zwar weitgehende Zugeständnisse auf kulturellem und sozialem Gebiet gemacht, einen territorialen Sonderstatus aber strikt abgelehnt.

Schwierig für die moldavische Regierung wird die Lage auch in dem am Dnjestr gelegenen ukrainisch- russischen Siedlungsgebiet um die Industriestadt Tiraspol. Die Sowjets dieses Gebiets haben sich zur souveränen Dnejstr-Republik im Rahmen der Sowjetunion erklärt und jetzt ihre Absicht kundgetan, ebenfalls Parlamentswahlen abzuhalten. Das Dnjestr-Gebiet war in der Zwischenkriegszeit als Moldau-Republik Bestandteil der UdSSR gewesen.

Ihrer zur Schau getragenen neutralen Haltung zum Trotz instrumentalisiert die sowjetische Regierung die Unabhängigkeitsbestrebungen Gagausiens und der Dnjestr-Republik für ihr Ziel, Moldavien im Rahmen der sowjetischen Union zu halten. Andererseits wächst der Wiedervereinigungsdruck von Seiten Rumäniens. Zehntausende Rumänen nahmen am Wochenende an Demonstrationen teil, auf denen die Vereinigung propagiert und der Hitler-Stalin-Pakt angeprangert wurde, auf Grund dessen Moldavien an die Sowjetunion abgetreten worden war. Christian Semler