Die Tücke aller Liturgie

■ Vierzig neue Seiten vom Bremer Kürzestschreiber Gerhard Ochs: „Der deutsche Krieg“

Gerhard Ochs ist ein bremischer Literat und doch ein talentierter Schinder und quält seine Sprache, bis sie sich dem selbst dem Führer unterwirft.

Lesen Sie mal: Er wartet immer, bis er gewinnt. Dann, nach dem Gewinn des Sieges wischt er sich den Mund an der Hand ab. Er steht auf und zählt die Toten, die nicht mehr befugt sind, am Sieg teilzunehmen. Er weist sie hartnäckig von seinen Stiefeln ab wie eine Bitte von ihnen, er solle ihnen seinen Tod vergeben. Er allein weiß, daß der Fehler ihres Versagens nicht durch ihn verschuldet wird, weil er als Führer nur befiehlt. Demnach kann mit Befehlen nicht Verfehlen gemeint sein. Das Verhalten der Toten ist vorschnell und lohnt nicht, darüber selbst zu verblassen. So geht die Geschichte (“Der deutsche Krieg“) ihren litaneiernden Gang, vorwärts, voran, rundum, ein gekonnt beklopptes Rondo, ins Leere geschraubt. „Der deutsche Krieg“ ist die erste von zwei Erzählungen in Gerhard Ochs neuem kleinen Büchel „Der deutsche Krieg“.

Ochs, der Ungemütliche, nimmt sich die Sätze und stopft ihnen noch ein Adverb und noch ein Objekt hinein, grad daß sie nicht brechen, und verrenkt ihnen sehr künstlerisch die Satzglieder; und wir kriegen mit, wie sie hilflos übereinander krabbeln, die Sätze, im Augenblick ihres Verblödens: Ein einziger Vorgang ist in allen Einzelheiten bekannt, daß nur Verletzungen den Soldaten vor übermäßigem Blut schützen. So rempelt sich das über Seiten dahin, und es steckt darin die nicht ganz ungefährliche Tücke aller Liturgie, welche sich, wie man weiß, bewahrheitet durch Hartnäckigkeit.

Ochs hat aber, bei aller Hinterlist, die gebeugte Schreibhaltung des Protokollars; er schreibt uns seine Sätze auf, wie er sie zugerichtet hat, und sie klingen allesamt wie säuberliche Inhaltsangaben. Von womöglich weit Schrecklicherem, müssen wir fürchten. Die Schüsse platzen heraus und verschwinden, einer nach dem anderen springt auf den Hintergrund.

Die andere Geschichte heißt „Die Wonne des Mannes ist jeder Tag“ und ist genauso, hingegen scheinbar freundlich, von paar Gemütslämpchen erhellt, aber was hilft das bei einem begnadeten Kürzestprosaiker wie dem Gerhard Ochs, dessen existenzielles Paroli ja doch von dem vorletzten Satz vollinhaltlich korrekt angegeben wird: Das Sterben ist leicht, aber das Leben ist leichter.

„Der deutsche Krieg“ hat 40 Seiten zwischen stabilen Pappdeckeln, alles verfertigt im auch sonst verdienstreichen Salzburger Residenz-Verlag, und kostet 16 Mark. Manfred Dworschak