ROTKÄPPCHENS FEUERTANZ

Eingeplant war beim 'Einrichten‘ dieser Rubrik, irgendwann die grammatikalische Vergangenheitsform zu benutzen: Es war einmal ... Die ersten kleinen Cafés, die ihr Dasein dem Rechtsvakuum nach dem vorjährigen November verdanken, ist das heiße Wasser ausgegangen. Geschlossen. Jörg Delochs Galerie und Café K90 hat sich aus der Liste der Veranstalter vom Prenzlauer Berg verabschiedet.

So will ich heute einen Nachruf schreiben.

Nichts Ungewöhnliches war hier zu finden — außer der Kunst, sozusagen als hauptamtliches Beiwerk. Peter Schmidt, Jens Hausmann, die Künstlergruppe DNA und andere hatten hier ausgestellt. Die Räume waren karg, die Wände unverputzt, eine mehr als provisorische Bar, die dennoch eine gewisse Intimität ausstrahlte. Zu den Ausstellungseröffnungen war es wohl am vollsten. Dann standen Bänke vor der Tür und man fühlte sich wie bei einem Schwatz vor dem Gemeindehaus. Im Hof spielten mitunter Kapellen. Die Front war rot gestrichen (und ist es auch jetzt noch) und ein obligater Farbbeutel war darauf zerplatzt — in blau. Die unzerstörbare — und dennoch symphatische Sucht — von Kaffeehausbesitzern, in ihren Räumen besonders originell sein zu wollen, brachte Deloch auf die Idee, einige Kreissägenblätter lackiert als Tischplatten zu benutzen. Wenn es regnete, konnte man sich wie im Wohnzimmer an's offene Fenster setzen und parterre bei einer Flasche Bier auf die Straße starren.

Doch leider hatte das Konzept wohl irgendwo eine Flachstelle, denn sonst wäre das Publikum nicht immer dünner geworden. Irgendwie war wohl auch diese Straße nicht so der rechte Griff: Autostreß, Fabrikgebäude. Keine Laufkundschaft — schade!

Die Cafés, die jetzt neu eröffnet werden, haben alle schon erprobte Visagisten an ihrem Bildnis werkeln lassen. Der spontane Besetzungscharakter, der den ersten Kneipen und Versammlungsräumen (um mehr ging es zuerst ganz sicher nicht) in Erscheinung und Ausstattung hineingemeißelt war, hat seinen Reiz verloren. Und seinen Zweck erfüllt. Die Tage der Idealisten, die sich die Bar eigentlich nur für sich selber eingerichtet hatten, sind dahin. Jetzt wollen auch die anderen mal trinken. Nicht immer nur Bier und Gin Tonic. Jetzt wollen sie auch essen — italienischen Salat, Falafel, Baguette und sowas. Dazu ein Bier im maßgeschneidertem Weizenglas und ein Aschenbecher aus unbrennbarer Plaste.

Warum auch nicht, ich würde auch keinen Trabant mehr fahren wollen.

SALVE. Volker Handloik