Neu in Berlin: Das Vaterland ruft

■ Schnell und unbürokratisch, schon zwei Wochen nach der Vereinigung, wird der erste Bewohner des Westteils zum Zivildienst eingezogen/ Der Mann ist 28 Jahre alt/ Sein Anwalt will klagen

Berlin. Die Wehrpflicht in Berlin rollt an. Der anerkannte Kriegsdienstverweigerer Hans Jürgen Krüger soll nach dem Willen des Bundesamtes für Zivildienst von Februar 1991 an seinen Ersatzdienst ohne Waffe ableisten. Dem 28jährigen Maschinenbauer schickte das Kölner Amt zwei Wochen nach der Vereinigung des Vaterlandes und dem Wegfall des entmilitarisierten Status eine Ankündigung zur Heranziehung.

Die Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär und der Verein »Mit uns gegen die Wehrpflicht« protestierten am Dienstag vor der Presse gegen dieses erste Einberufungsverfahren in Berlin. Ihr Sprecher Christian Herz rief die Berliner auf, die Wehrpflicht nicht zu erfüllen. Nach dem Fall der Mauer und des Feindbildes müsse Deutschland das Militär und den Zivildienst abschaffen. Bundesverteidigungsminister Stoltenberg hatte verlauten lassen, daß die Berliner nur bis zum 25. Lebensjahr an die Gewehre sollen. Das Bundesamt für Zivildienst untersteht aber dem Familienministerium und fühlt sich dem Versprechen des Verteidigungsministers nicht verpflichtet. Im Hause von Ministerin Lehr erteilte man der Kampagne gegen die Wehrpflicht die Auskunft, daß alle Berliner Kriegsdienstverweigerer wie im alten Bundesgebiet bis zum 32. Lebensjahr gezogen werden sollen.

Die Kampagne und der Verein gegen die Wehrpflicht weisen diese Ungleichbehandlung von Kriegsdienstverweigerern und Soldaten in der alten Hauptstadt zurück. Hans Jürgen Krüger: »Ich hätte kein Problem, wenn ich nicht anerkannter Kriegsdienstverweigerer wäre.« Beim Bund brauche man keine 28jährigen, die ein bißchen renitent seien. Auch Kampagnensprecher Herz wies auf die vorgezogene Einberufung von Kriegsdienstverweigerern hin: Die Bundeswehr wolle erst für 1992 Stellungsbefehle erteilen, weil eine Wehrverwaltung in Westteil der Stadt erst noch aufgebaut werden muß. Herz kritisierte, daß der Zivildienst um ein Vierteljahr länger sei als der Wehrdienst.

Der Zivildienst wird den diplomierten Hans Jürgen Krüger seinen sicher geglaubten Arbeitsplatz kosten. Schon vor seinem Studienabschluß hatte der Maschinenbauer halbtags bei einer Firma gearbeitet, die den in Aussicht gestellten Job jetzt anderweitig besetzen wird.

Krügers Rechtsanwalt Kajo Frings wird versuchen, seinem Mandanten den »miserabel entlohnten Zivildienst« zu ersparen. Frings will für wehrunwillige Berliner den Vertrauensschutz juristisch einklagen, den schon die Bundessenatorin Heide Pfarr (SPD) eingefordert hatte. Die Berliner hätten ihr Leben ohne Bundeswehr und Pflegenotstandsdienst geplant, hatte die wahlkämpfende Senatorin verkündet — und gefordert, die am Einigungstag 16- bis 32jährigen Berliner von der Wehrpflicht zu verschonen.

Nicht nur die 200.000 Berliner Wehrpflichtigen, sondern alle Berliner ruft die Kampagne für Samstag, den 17. November zu einer DeserteurInnenparade auf. Jens Wittneben