„...damit wir endlich Feierabend haben!“

■ Bericht aus Stammheim, Sonntag, dem 7.10.

Beim Hofgang befanden sich im großen Hof ca. 160 Leute. Auf dem Flachdach hatten getrennt auch eine unbekannte Anzahl Leute Hofgang.

Um 14.20 Uhr, das Hofgang- Ende kündigt sich dadurch an, daß die Eingangstüre weit geöffnet wird, saßen genau 77 Leute im großen Hof und auf dem Dach waren es 16 Leute. Wir wollten gewaltfrei erreichen, daß wir durch diese spontane Verweigerung des Einrückens den Anstaltsleiter zusammen mit Pressevertretern dazu bringen, unsere Amnestie-Forderung öffentlich zu machen. Der beim Hofgang-Ende anwesende Arbeitsinspektor sagte uns zu, er werde den Anstaltsleiter herbitten und er wird so in ca. 20 Min. dasein. Das dies nur eine Verzögerungstaktik war, merkten wir, als der Anstaltsleiter angeblich zuerst auf dem Dach bei den 16 Leuten war, woraufhin 10 Leute freiwillig in ihre Zellen zurückkehrten. Inzwischen wurde im Hof genauso wie aus den Zellen heraus im Intervall von ca. 10 Min. im Chor „Amnestie“, gebrüllt. Die Gefangenen aus den Zellen warfen Lebensmittel, Getränke, Tabak, Kleidung und Decken heraus, welche dankbar eingesammelt wurden. Gegen 17 Uhr — der Anstaltsleiter war genausowenig wie jemand anderes bei uns im Hof zum zugesagten Gespräch erschienen — erfahren wir von den Leuten auf dem Dach, daß die Polizei gerade dabei sei, die 10 Leute vom Dach zu entfernen. Wie das zuging wissen wir nicht. Auf jeden Fall wußten wir, daß die Anstaltsleitung auf Räumung statt auf Gespräch steht! Daraufhin ging ich nochmals zum Eingangstor um zu fragen, wann denn nun endlich der Anstaltsleiter kommen würde. „Er kommt gleich“ wurde ich angelogen und vertröstet, und die Tür schloß sich sofort wieder. Ich sollte wohl nicht mitkriegen, daß sich in der Eingangshalle bereits Bereitschaftspolizei — mit Helm, Schild, Schlagstöcken bewaffnet — befanden. Daraufhin zogen wir uns weiter nach hinten zurück und rechneten jederzeit mit einer Stürmung durch diese BePo! Diese kam um 19.30 Uhr, nachdem der Anstaltsleiter mit einem Megaphon kurz zuvor erschienen war. Er verstünde unsere Amnestieforderung, aber das sei Sache des Justizministeriums bzw. der Gesetzgebung, die Anstalt könne diese nicht geben. Das war mal wieder typisch; als wenn wir das nicht wußten! Daraufhin fragten wir erneut nach der Presse: Zeitungsjournalisten und Lokalradio und erneuerten unser Anliegen, erst dann einzurücken, wenn wir unsere Amnestieforderung der Öffentlichkeit erklärt hatten. Daraufhin reagierte der Anstaltsleiter gereizt: „Die Presse kommt mir nicht ins Haus“. Er forderte uns nochmal auf, den Hof zu räumen und in die Zellen zurückzugehen, ansonsten müsse er die Polizei bitten, den Platz zu räumen. „Ich verstehe Ihr Anliegen und begrüße Ihre Gewaltablehnung, aber gehen Sie doch rein damit wir alle endlich Feierabend kriegen“. Die Antwort war geteilter Meinung: Die einen pfiffen ihn aus und zogen sich von der Tür in Richtung Mauer zurück — unter Beifall der in den Zellen eingesperrten — die anderen gingen teils unsicher teils erlöst nach diesem „verlängerten Hofgang“ freiwillig und ohne das Zwang angewendet wurde, zurück in ihre Zellen. Das war vielleicht eine Enttäuschung für uns welche wir zur Mauer gingen, als wir dort von ursprünglich 77, nur noch 14 Leute waren! Und weil unter den 77 sich schon nur knapp 20 Deutsche befanden, wunderte es uns nicht, daß wir letzten 14 nur 2 Deutsche waren — die anderen 12 Ausländer!

Ich danke hier speziell meinen ausländischen Kollegen für ihre zum Teil risikoreiche (weil zum Teil noch in U-Haft) Solidarität und ich frage mich, warum ich immer wieder meinen Kopf hinhalte für meine deutschen Kollegen, die sich mit allen möglichen Gründen davonschlichen! Das Motto derartiger Feiglinge lautet wohl: Amnestie nehmen wir sehr gern, aber wir klopfen lieber nächstens an die Zellentüren wenn uns keiner sieht!

Wir waren also noch 14 Leute, mit dem Rücken zur Mauer sitzend, als zum linken Tor plötzlich genau 20 BePo's, incl. Polizeiphotograf reinkamen. Von rechts strömten weitere genau 20 BePo's, incl. Polizei-Video-Filmer rein. Diese 40 mit Helm, Schild und Schlagstöcken ausgerüsteten Polizisten bauten sich im Halbkreis in etwa 20 Meter vor uns auf um Ihre Macht zu demonstrieren. Wir saßen friedlich da und stimmten mit Unterstützung der Zellenkollegen zu „Amnestie“-Rufen an. Dann kamen 8 weitere BePo's, legten ihre Knüppel ab und griffen sich immer zu zweit einen Sitzenden nachdem dieser der Aufforderung „Steh auf“ nicht nachkam. Es ging gewaltfrei von uns aus zu und bis auf einen haben sie alle nur im Polizeigriff abgeführt. Dieser eine, Grieche, Niko heißt er, reagierte auf Zurufe der Zellenkollegen („Bravo Niko“) indem er sich aus dem Polzeigriff losriss und seine Arme zum Gruß hochreißen wollte. Da bekam er sofort von einem BePo eine auf die Schnauze. Wir wurden von den BePo's bis zur Hoftür im Polizeigriff geführt, dann von Sicherheitskräften der VA übernommen und im Polizeigriff zur jeweiligen Zelle gebracht! Das war's zumindest bis jetzt, Sonntag Abend. Was morgen kommt (Verlegung? Disziplinarmaßnahmen?) weiß keiner, aber zumindest ich seh dem gelassen entgegen. Nach 3 1/2 Jahren Straubing kann mich nichts mehr schocken! A.K., Stuttgart-Stammheim