Gefurcht im Niemandsland

■ Karin Spechts neues Stück „Amiwiesen“

Monologe sind eine vertrackt einfache Sache. Einfach zunächst, weil die äußere Dramaturgie der Rollenaufteilung entfällt, die Treppenstürze und Erschießungen, Liebesszenen und Sottisen im Dialog; es passiert schließlich nichts. Umso höher sind die Anforderungen an die innere Dramaturgie des Textes, und es sind vornehmlich zwei Kunstgriffe, mit denen diese einfach komplizierte Aufgabe gelöst wird: Sprachmächtigkeit und Erzählung, letzteres im Sinne eines Textes, der auf eine Pointe zielt.

Die Münchner Dramatikerin Karin Specht, zuletzt bekannt geworden mit ihrem Stück Das glühend Männla (einer sozialdramatischen Familiengeschichte, angesiedelt im ehemaligen Zonenrandgebiet Frankens), hat sich für ihren Monolog Amiwiesen, uraufgeführt am vergangenen Freitag in den Münchner Kammerspielen, beider Kunstgriffe zugleich bedient. In einem Phantasiedialekt, der das Hörverständnis nicht stört, aber in seinen besten Passagen an die eruptive Unmittelbarkeit Büchners erinnert, hören wir eine Mordgeschichte.

Es steht eine Frau im Niemandsland. Sie ist lange über Äcker gelaufen, ihre ollen Schuhe sind verdreckt, und auf dem Rücken trägt sie einen Korb mit einem Kind darin, das nicht spricht. Sie setzt sich in die Furchen und erzählt, um die Geister zu vertreiben, die sie bedrängen. Sie spricht mit permanenter Anstrengung. Ihre aufgerissenen Augen strafen die Mär vom Landleben Lügen, wo statt der Neurosen nur die Heckenrosen blühen. Sie ist ein Häuslerkind, verschubst, gedemütigt und klug geworden. Sie ist hinaus über die erbarmungslose Redlichkeit der armen Leute, die meinen, man könnte sich ein bißchen Land erarbeiten — und dann erarbeitet man sich doch nur einen Buckel. Sie hat es gebracht bis zur Haushälterin bei einer Familie in der Provinz.

Dort, wo vierzig Jahre BRD nichts an der dumpfen Weisheit geändert haben, daß Politik das Geschäft der anderen ist: „Is immer besser, wenn man ruhig ist.“ Dort, wo die Nachkriegszeit für ein obskures Gemisch aus Atavismen und Gegenwärtigem gesorgt hat, wo die geernteten Äpfel auf dem Küchentisch mit Kunststoffbeschichtung neben ein Computerhoroskop zu liegen kommen. Wo einem Mann der Blinddarm platzt, während die Frau auf der Modemesse in Nürnberg das große Leben ausprobiert. Wo ein Feuerwehrball noch ein Ereignis ist, das für unerwünschte Kinder sorgt, gezeugt in kurzer, betrunkener Umarmung auf der Wiese hinterm Schützenhaus. „Da, da ist das Leben ein gefrorener Hühnerdreck.“

Doris Schade spielt diese Frau sehr gut. Sie ist weder Täter noch Opfer — was allein schon, angesichts der Rührseligkeitstradition der dramatischen Literatur von und über Frauen, eine ideologische Erholung darstellt. Sie ist nicht mit dem Leben beleidigt, aber sie hat noch eine Menge Rechnungen offen. Sie spricht, über weite Strecken, mit einer Gegenwärtigkeit, die im Gedächtnis bleibt.

Damit ist das Lob am Ende. Denn dem Text fehlt die dramaturgische Spannung, die notwendig wäre, um einen Monolog von nahezu zwei Stunden Länge zu tragen. Zu willkürlich aneinandergereiht erscheinen die Geschichten, die das Leben dieser Frau zur Sprache bringen sollen, zu wenig überraschend ist der Schluß, um den ganzen Text nachdenkend in ein neues Licht zu setzen. Karin Specht hat auf das vergleichsweise primitive Mittel einer durchgehenden, psychologisch klar motivierten Geschichte verzichtet (wie sie beispielsweise das Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe begründet), aber sie wendet sprachlich und atmosphärisch zu wenig auf, um diesen Verzicht vergessen zu machen. Der Stoff für eine gute Novelle ergibt noch keinen guten Monolog. Elke Schmitter

Karin Specht: Amiwiesen; gespielt von Doris Schade; Regie, Bühnen und Kostüm: Kazuko Watanabe; Münchner Kammerspiele

Weitere Aufführungen: 2.,4.,9.,23. November