Flucht in die Vergangenheit

■ Das Verkehrskonzept des Verbandes der Automobilindustrie KOMMENTARE

Wer hat schuld am Verkehrskollaps in unseren Städten? Der „massive Ausbau“ von U-Bahn und S-Bahn, der eine starke City- Lastigkeit ausgelöst hat. Wie kann die wachsende Blechlawine bewältigt werden? Mit neuen Anstrengungen im Straßenbau. Wie können die Verkehrsprobleme langfristig gelöst werden? Durch ein Ende der Subventionen für öffentliche Verkehrsmittel. Aha!

Das vom Verband der Automobilindustrie (VDA) gestern vorgelegte „Verkehrskonzept aus einem Guß“ hat sich ganz offensichtlich im Jahrzehnt geirrt. Anders als die nachdenklichen Töne, die man zuletzt aus den Chefetagen von Volvo in Stockholm oder in Ansätzen auch von Volkswagen in Wolfsburg hörte, manövriert der neue alte Betonkurs der Frankfurter Zentrale den VdA ins gesellschaftliche Abseits. Das Papier ist nichts anderes als ein einsames Plädoyer für die asphaltierte Republik. Und für die Politik des Immer-so-weiter. Realitätsverlust als politisches Programm. Wer will der Autoindustrie auf ihrem Crash-Kurs im Autobahnnebel noch folgen? Niemand.

Die letzten Vorschläge von Späth und Biedenkopf zur Erhöhung der Mineralölsteuer zeigen, daß die Emanzipation vom Auto längst konsensfähig ist und alle politischen Strömungen erfaßt hat, auch wenn sie in ihren Konsequenzen noch weit voneinander abweichen. Die Automobilindustrie schließt vor dieser Entwicklung ganz fest die Augen, genauso wie sie den alltäglichen Kollaps im Straßenverkehr ignoriert und schönredet. Es gibt keinen Verkehrsinfarkt, weil es ihn nicht geben darf. Und wenn doch, dann ist die U-Bahn schuld. Für wie dämlich halten die uns eigentlich?

Daß der VDA sich genötigt sieht, jetzt ein Verkehrskonzept vorzulegen, zeigt vor allem, wie stark die anhaltende Verkehrsdiskussion in Frankfurt eingeschlagen hat. Mit den Toten auf den Straßen der neuen Bundesländer, mit der chronischen Verstopfung in nahezu allen großen Städten und den düsteren Auto-Prognosen für die nächsten Jahre hat sich der Wind endgültig gedreht. Noch nie stand die Autoindustrie so stark unter Druck. Aber noch nie wurden so viele Autos verkauft, auch das ist richtig. Die Lücke zwischen verkehrspolitischen Einsichten und individueller Konsequenz ist so groß, wie die Lücke auf den Fahrplänen, Bahnhöfen, Fahrradwege- und U-Bahnnetzen groß ist. Doch hier ist viel in Bewegung geraten, und das löst Panikreaktionen aus, wie das neue VDA-Papier zeigt. Anders als unter dieser Rubrik vermag man die gestrige Darbietung der PS-Branche kaum zu bewerten. Eine panische Flucht in die Vergangenheit. Doch die kommt nicht wieder. Für jeden neuen Autobahnkilometer versprechen wir mindestens eine Bürgerinitiative. Manfred Kriener