Ost-West-Polizei: „Der reinste Rentnerball“

19. Kongreß der Gewerkschaft der Polizei in Frankfurt/ Klagen über Altersversorgung und Arbeitsbedingungen Unvereinbarkeitsbeschluß für DDR-Polizisten aus Stasi und PDS/ Personalmangel in den Revieren der neuen Bundesländer  ■ Aus Frankfurt Heide Platen

Schimanski ist mit der S-Bahn gekommen. Die Lederjacke, das Blechköfferchen, die schwarze Schmalzlocke — alles echter als echt. Der Blonde, der hinter ihm herstolpert, könnte Thanner sein, wäre er nur ein bißchen kürzer geraten. Und das Thema vom letzten „Tatort“ stimmt auch: Zusammenarbeit mit den DDR-Kollegen ist angesagt beim viertägigen 19. Ordentlichen Bundeskongreß der Gewerkschaft der Polizei (GdP), der am Sonntag nachmittag in der Frankfurter Jahrhunderthalle begann. Und die gestaltet sich im richtigen Leben fast wie im Film — problematisch. Weder bei der Stasi dürfen die künftigen Kollegen gewesen noch bei der PDS. Das hatte der am Sonntag noch und am Montag wiedergewählte Vorsitzende Hermann Lutz zu Beginn des Kongresses vollmundig verkündet. Dieser Unvereinbarkeitsbeschluß geht, räumte er dann allerdings einen Tag später ein, inzwischen mangels Polizisten in der DDR auf weiter Strecke ins Leere. Lutz konstatierte für den vergangenen Monat eine Kündigungswelle der Ost-Polizisten, „weil zahlreiche Beschäftigte von sich aus das Handtuch warfen“. Als Ursache machte er eine „Verunsicherung“ der Ex-DDR-Beamten aus, die durch Formulierungen zur Nichtübernahme über 50jähriger im Einigungsvertrag entstanden sei. Etliche DDR-Behördenleiter hätten diese Situation dazu mißbraucht, den „älteren Beschäftigten Angst zu machen“. Diese „unfeinen“ Machenschaften alter Stasi-„Seilschaften“ hätten von der noch Anfang 1990 in den Revieren und Ämtern der DDR gezählten „völligen Überbesetzung“ urplötzlich und kurzfristig zu einer „sehr bedenklichen Unterbesetzung“ geführt. Lutz appellierte an die Innenminister, diesen Personalengpaß nicht durch ehemalige Partei-Soldaten auszugleichen.

Sperrmüll und Überstunden

Die GdP, der 162.000 der rund 200.000 westlichen PolizistInnen angehören, rechnet damit, durch den östlichen Zuwachs noch in diesem Jahr die 200.000-Marke zu erreichen. Vorerst jedoch, so die Bilanz, kommen die Beitrittserklärungen nur zögerlich. Das liegt, hoffen die Gewerkschafter, vor allem an dem langwierigen Prozeß der satzungskonformen Umstrukturierung. Vorwürfe eines hessischen Delegierten zu diesem Verfahren konterte der Vorstand bitter: „Du hast ja selbst aus Thüringen noch nicht ein einziges Mitglied mitgebracht!“

Auch sonst war die Stimmung der rund 500 Delegierten und Gäste eher muffelig. Spiegelbildlich zu den fast 500 Anträgen klagten sie sich im Foyer in kleinen Gruppen gegenseitig ihr Leid: Unterbezahlung, Unterbesetzung, mit „Sperrmüll“ ausgestattete Diensträume, Überstunden. Das drängendste Problem am Montag mittag schien die Altersversorgung zu sein. Die Senioren nörgelten in endloser Folge über Pensionen und Renten. „Der reinste Rentnerball! Die haben eben viel Zeit“, maulte einer der modischen Polizei- Youngster, die in dieser Saison zur Bundfaltenhose Lambswool in Lila, Curry oder Hellgelb tragen. Sein Lebensgefühl hatte eher der niedersächsische Delegierte Dietmar Schilff getroffen: „Wir müssen noch etwas progressiver und moderner werden.“ Utopie der waffenlosen Polizei.

Von der neuen, modernen Polizei war überhaupt viel die Rede. Umweltschutz, psychologische Schulung, bessere Ausbildung, Verständnis für Minderheiten, Abschaffung von Schußwaffen und CS- und CN- Gas, mehr Frauen im Polizeidienst, weg von der Rolle als „Büttel“ und Erfüllungsgehilfe verfehlter Politik — der Wunschkatalog las sich durchweg utopisch.

Da nahmen sich zwei Anträge im Paket „Soziales“ eher bescheiden aus dem Leben gegriffen aus. Der Landesbezirk Bremen forderte „eine Pauschalvergütung für die Leichendaktyloskopie“. Toten die Fingerabdrücke abzunehmen und an ihnen Spuren zu sichern sei schon deshalb unangenehm und vergütungsträchtig, weil sich „der Leichengeruch insbesondere in der Kleidung festsetzt“. Und das, so die Hessen, bei ohnehin angespannter Bekleidungslage. Sie verlangten statt drei Sommer- und vier Winterhemden jeweils acht. Begründung: „Gerade in den Sommermonaten werden ein bis zwei Hemden pro Dienstschicht durchgeschwitzt.“ Auch Schimanskis Lederjacke gehört noch nicht für alle Beamten zum Standard, die Pullover sind „zu dünn“, von schlechter Qualität und die Farbe konveniere auch nicht, ließen die Baden-Württemberger wissen.

Frauen als Feigenblatt und ohne Toilette

Ein erkleckliches Antragspaket widmeten die Delegierten den 15.000 Frauen in der Polizei. Mehr sollen sie werden, in die Führungsgremien hineinquotiert und gegen sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz besser geschützt werden. Da kann der Beamte vor Ort nur lachen. Ein Bremer Delegierter wetterte gegen die Gleichstellung der Frauen „als Feigenblatt der politischen Parteien“. Bei ihm im Revier gebe es bisher jedenfalls „nicht mal eine Damentoilette“. Von den Umkleideräumen ganz zu schweigen, in denen sich Kolleginnen und Kollegen bisher „in totaler Nähe umziehen müssen“.

Besonderen Applaus verdiente sich der Delegierte Thomas, als er das Fazit aus seinem harten Alltag zog: „Auf unseren Straßen findet der 3. Weltkrieg statt.“ Er war einer der wenigen Redner, der statt der moderaten Töne des neuen Selbstverständnisses noch markige Worte sprach. „Blutzoll!“, wetterte er in Richtung Verkehrspolitiker. Verkehrsunfälle seien „nicht gottgewollt“ und schon gar nicht durch „Separation“ der VerkehrsteilnehmerInnen vom Fußgänger bis zur Autofahrerin zu verhindern, sondern nur durch „Integration“. Die Anarchisten bei den Polizisten wirkten hinter den Kulissen. Da flimmerte doch ein-, zweimal bei besonders unliebsamen Redebeiträgen tatsächlich das Wort „Spinner“ über den elektronischen Schriftzug neben dem Präsidium. Der Kongreß geht heute, nach ausgiebiger Antragsberatung, Empfang im Rathaus und Ehrung ausgeschiedener Mitglieder zu Ende.

Sollten das Einkommen und die Arbeitsbedingungen der Polizisten nicht attraktiver werden, tönt Gewerkschaftschef Lutz, werden die ausscheidenden Mitglieder zum Problem — denn mit dem Nachwuchs hapert es. Lutz wies darauf hin, daß bereits jetzt 130.000 Arbeitnehmer im privaten Sicherheitsgewerbe außerhalb des Werkschutzes arbeiten. Eine tarifliche Lohnerhöhung zwischen 7,5 und 9,5 Prozent sei mehr als angebracht.