Altenheimbetten und Armeewäsche

■ Ost-Berlins erstes Obdachlosenheim hat sich im ehemaligen KWV-Mieterhotel eingerichtet

Auf dem vergilbten Schild am Eingang des tristen Altbaus Leninallee 91 steht kaum lesbar: »Mieterhotel der KWV Prenzlauer Berg«. Mieterhotels waren Ausweichquartiere, wo Familien einzogen, deren Häuser im Rahmen des »Wohnungsbauprogramms der SED« saniert wurden. Das Programm gibt es nicht mehr, die SED hat die Segel gestrichen, und die KWV wurde in eine »Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft« umgewandelt. Das Haus Leninallee 91 aber wurde mittlerweile einer neuen Bestimmung zugeführt: Hier befindet sich seit dem 1. Oktober das erste Obdachlosenheim im Ostteil der Stadt. Vorerst vier Wohnungen wurden vom »Amt IV — Besondere soziale Dienste« des Bezirksamtes Prenzlauer Berg angemietet, um wohnungslosen Bürgern ein Dach über dem Kopf bieten zu können. »Eigentlich wollten wir noch mehr Räume anmieten, doch bisher sträubt sich die Wohnungsbaugesellschaft dagegen«, erzählt Martina Heinzmann, die Leiterin des Amtes IV.

Die Wohnungen haben jeweils zwei Zimmer, in jedem Zimmer sind drei Betten aufgestellt. »Das entspricht«, so erklärt Norbert Siebecken, als Sachbearbeiter des Amtes IV zur Zeit so eine Art Heimleiter in der Leninallee, »den bundesdeutschen Vorschriften, nach denen pro Person mindestens sechs Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung stehen muß.« In den Räumen muffige Tristesse; die Tapeten sind vergilbt, die Betten — aus einem aufgelösten Ostberliner Altenheim herbeigeschafft — wurden mit blaukarierter Armeebettwäsche bezogen. Auch der Rest des Mobiliars ist endweder von der Armee oder aus dem Altenheim zusammengetragen. »Das war gar nicht so einfach, die Sachen alle heranzuschaffen«, erinnerte sich Siebecken. »Neben einem Zivildienstleistenden und dem Armeekraftfahrer, der Betten und Schränke brachte, mußten wir das alles alleine schleppen.« Zu jeder »Wohnung« gehören eine Kochnische und eine Duschecke, zwei oder drei Schränke, sechs Stühle, ein kleiner Kühlschrank und ein Tisch. Laut der ausgehängten Heimordnung ist die Unterbringung nicht kostenlos. »Bisher«, so Martina Heinzmann, »haben wir aber noch auf einen Unkostenbeitrag verzichtet. Doch ab November werden wir damit beginnen, von hier untergebrachten Personen, die noch in Arbeit stehen, einen Obolus von zwei Mark pro Tag zu erheben.«

Die Umstände, die Menschen dazu treiben, sich um eine Einweisung in das Obdachlosenheim zu bemühen, sind unterschiedlich. So gibt es Mietschuldner, denen die neugeschaffene Wohnungsbaugesellschaft die Wohnung gekündigt hat und dann gerichtlich räumen ließ. Eine zweite Gruppe sind »Rückkehrer« aus Westdeutschland, die das große Glück nicht gefunden hatten und nun — im Gegensatz zu früher — nicht mit offenen Armen empfangen wurden. Einer ist sogar bis Amerika gekommen, lange Jahre hatte er dort gelebt, bis ihn dann schließlich doch das Heimweh plagte. Und dann gibt es da noch eine dritte Gruppe, die — man möchte es nicht glauben — gar keine andere Unterkunft wünscht. So zum Beispiel der Mann, der nach zehn Jahren aus dem Strafvollzug entlassen wurde und nun gar nicht mehr anders kann, als in einer Gemeinschaftsunterkunft zu leben.

»Auch wenn wir uns frühzeitig entschlossen haben, dieses Obdachlosenheim zu eröffnen«, erklärt Frau Heinzmann nach dem Rundgang durch das Objekt, »sehen wir unsere Aufgabe vor allem darin, Obdachlosigkeit zu verhindern.« So wolle man in Zukunft Wohnungen anmieten, um dort sozial schwache Familien unterzubringen, die die zu erwartende Mietpreisexplosion nicht verkraften können. Trotzdem weiß die Amtsleiterin nicht zuletzt aus ihrem regen Erfahrungsaustausch mit den entsprechenden Westberliner Stellen, daß sich in Zukunft die Obdachlosigkeit als ein soziales Dauerproblem darstellen wird. Um dem gewappnet zu sein, hat das Bezirksamt bereits ein größeres Mietshaus in der Lychener Straße erworben, das zusammen mit dem Sozialpädagogischen Institut zu einem Heim mit erheblich mehr Plätzen ausgebaut werden soll. Olaf Kampmann