Ein Schlag ins Gesicht der ImmigrantInnen

■ BVerfG-Urteil gegen Ausländerwahlrecht hinterläßt Wut und Ratlosigkeit

Berlin. Frust und Verunsicherung auf der einen, feixende Genugtuung auf der anderen Seite — das gestern einstimmig gefällte Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) gegen das kommunale Ausländerwahlrecht hat die Hoffnungen der rund 300.000 ImmigrantInnen in der Stadt auf kommunale Mitbestimmung vorerst zerstört und die bereits gewählten ausländischen Bezirksverordneten in Ost-Berlin ratlos gemacht. Das von der AL-SPD-Mehrheit im Abgeordnetenhaus verabschiedete Gesetz zum kommunalen Ausländerwahlrecht wird damit an den Papierkorb überwiesen, wie der Regierende Bürgermeister Walter Momper gestern verkündete. Was nun mit der Verfassung der Ostberliner Stadtverordnetenversammlung geschehen soll, in der das kommunale AusländerInnenwahlrecht mit Zustimmung der CDU verankert wurde, wußte niemand zu sagen.

Massive Kritik am BVerfG-Urteil übten VertreterInnen der AL- und SPD-Fraktion, der GEW, die Ostberliner Fraktion von Bündnis 90/Grünen/UFV sowie Schulsenatorin Sybille Volkholz (AL). In der SPD, die sich mit der Einführung des kommunalen Ausländerwahlrechts selbst schwergetan hatte, hofft man nun auf den fortschrittlichen Einfluß des Europaparlaments, das das Ausländerwahlrecht zumindest für EG- Bürger befürwortet hat.

Triumphierend präsentierte sich Eberhard Diepgen, Landes- und Fraktionsvorsitzender der CDU, der erst kürzlich im Einheitsausschuß für eine Ausdehnung des Westberliner Ausländerwahlrechts auf Gesamt- Berlin gestimmt hatte. Die CDU werde nun einen Gesetzentwurf zur Aufhebung des verabschiedeten Ausländerwahlrechts im Abgeordnetenhaus einbringen. Die Entscheidung des BVerfG sei eine »schallende Ohrfeige für SPD und AL«.

Die Backe hielten sich gestern jedoch weniger jene, sondern die ImmigrantInnen in der Stadt. Auch Verfassungsrichter, so Kenan Kolat vom Aktionsbündnis gegen das Ausländergesetz, könnten sich dem Vereinigungstaumel und der Deutschtümelei offenbar nicht entziehen. »Ein Schlag ins Gesicht«, konstatierte auch Sevim Celebi-Gottschlich, Ex- AL-Fraktionsmitglied und erste türkische Abgeordnete in der bundesdeutschen Geschichte. »Aber hoffentlich wird es die ImmigrantInnen aufrütteln.« Schockiert über das Demokratieverständnis des höchsten deutschen Gerichts waren ausländische Bezirksverordnete aus Ost-Berlin, die sich nun fragen, was mehr zählt: die demokratische Legitimierung durch die WählerInnen bei den Kommunalwahlen im letzten Mai oder das Urteil von sieben Verfassungshütern, die zum (Wahl-)Volk nur zählen wollen, wer deutsch ist. Andrea Böhm

Siehe Interview auf Seite 22