Unglücklich und alleine ist es einfacher

■ Ein Gespräch mit Paul Schrader, dessen neuer Film „Der Trost von Fremden“ ab heute in den Kinos läuft

„Der Trost von Fremden“, nach dem gleichnamigen Roman von Ian McEwan (Drehbuch: Harold Pinter) erzählt von einem jungen Paar (Rupert Everett und Natasha Richardson) auf Venedig-Urlaub. Ein älteres Ehepaar (Christopher Walken und Helen Mirren) macht sie zum Objekt ihrer sexuellen Obsessionen.

Schrader begann seine Laufbahn im Filmgeschäft als Kritiker, schrieb 1975 das Drehbuch für Scorseses „Taxi Driver“, 1980 das für „Wie ein wilder Stier“ und 1989 für „Die letzte Versuchung Christi“. Seine erste Regiearbeit war „Blue Collar“ (1977). Bekannt sind unter anderem seine Filme „Ein Mann für gewisse Stunden“ (1979) und „Mishima (1985).

Wenn Sie als Auch-Drehbuchautor mit einem anderen Autor zusammenarbeiten, gibt es da einen Konkurrenzdruck? Wie war die Arbeit mit Harold Pinter?

Paul Schrader: Ein Grund, warum ich „DerTrost von Fremden“ gemacht habe, war meine Bewunderung für Pinter. Ich liebe seinen düsteren britischen Humor. Wir haben zwei Wochen mit den Schauspielern geprobt. Er hat die erste Woche mit ihnen gearbeitet, da habe ich nur zugesehen. Dann ist er abgefahren, und ich habe übernommen.

Warum dieses ungewöhnliche Verfahren?

Bei Pinter ist ein großer Teil der Aussage im Subtext enthalten. Um dies herauszuholen, haben wir zuerst wie für die Bühne gearbeitet: Die Schauspieler haben den Text wieder und wieder gelesen, um die Figuren zu begreifen.

Am Anfang wollten alle Beteiligten Änderungen an dem Buch. Ich habe ihnen versprochen, daß wir alles ändern könnten. Nach dieser ersten Probewoche habe ich sie dann gefragt, was wir nun verändern sollten, und sie haben nur geantwortet: „Wir verstehen es jetzt.“

In „Der Trost von Fremden“ geht es um eine sexuelle Obsession. Warum beschäftigen Sie sich in all Ihren Filmen obsessiv mit Obsessionen?

Zuerst einmal ist jede Form von Kunst auch Übertreibung, Kunst vergrößert die Spielarten menschlichen Verhaltens. Wenn man sich also für Obsessionen interessiert, tut man es in der Kunst obsessiv. Mein Interesse dafür hat mit meiner Herkunft zu tun. Ich bin in einem calvinistischen Umfeld aufgewachsen. Alles war dort darauf ausgerichtet, errettet zu werden, das Leben wurde nur als Reise betrachtet, um ins andere Leben zu kommen. Man beginnt langsam, alles auf die gleiche Weise zu sehen: Man denkt über Frauen wie über Jesus — mein Ziel! Erfolg als Erlösung.

Mein Problem mit „Der Trost von Fremden“ war der allzu bekannte Drehort Venedig...

Wir haben hart daran gearbeitet, um ein anderes Bild von Venedig zu entwerfen. Das Venedig im Film ist nicht das, was man sieht, wenn man hinfährt. Das richtige Venedig ist weiß, grau und neblig verschwommen. In meinem Film ist es wie Kairo: gold, orange und ocker, voller byzantinischer Stimmung.

Das fotografierte Venedig wird meines Erachtens sofort zum Klischee seiner selbst.

Das hat eine lange Tradition. Im 18. Jahrhundert wurde Venedig das romantische Symbol des britischen Empires. Shelly, Keats oder Byron lebten dort, und sie sahen in dieser Stadt das sterbende Empire. Dadurch schufen sie ein neues Bild von Venedig: das Symbol des Todes. Das war ein Produkt der romantischen Literatur. In Wahrheit ist diese Stadt heute ein Motiv-Park: Veniceland.

Der Film ist sehr schön und elegant, vielleicht etwas zu schön.

Ich wollte, daß er glänzt wie ein polierter Apfel, köstlich und verführerisch. Wenn man dann hineinbeißt, ist er völlig verfault.

Haben Sie deshalb auch Giorgio Armani engagiert?

Das hat sich zufällig ergeben. Er arbeitete an „American Gigolo“ mit. Das hat sein Geschäft in Amerika enorm aufblühen lassen. Als ich in Italien ankam, hat er mich nach Mailand zum Essen eingeladen und fragte mich, ob er etwas für mich tun könne. Da ich gerade meinen Kostümmitarbeiter losgeworden war, bat ich ihn zu übernehmen.

Hat er die Bekleidung für den Film neu entworfen?

Er benutzte seine Kollektion und änderte sie für den Bedarf. Wir hatten zum Beispiel Probleme mit Rupert Everett, weil er wie ein Modell aussieht. In Giorgios Garderobe sah er aus wie auf dem Laufsteg einer Modenschau. Deshalb trägt er nur ganz normale konservative englische Sachen.

In der Gruppe der New-Hollywood-Regisseure...

... so neu sind wir allerdings nicht mehr. Wir sind die erste Generation von Regisseuren, die zur Filmschule gegangen sind.

... nehmen Sie eine Sonderposition ein, sowohl wegen Ihres Stils als auch wegen Ihrer Themen.

Das liegt daran, daß ich als Kind keine Filme gesehen habe. Unsere Kirche hat den Theaterbesuch verboten. Die ersten Filme, die ich gesehen habe, waren von Bergman, Antonioni, Buñuel und Godard. In den anderen Hollywood-Regisseuren meiner Generation leben deren frühe Kinoerfahrungen weiter, die ich nicht hatte. Ich empfand es als großen Vorteil, weil ich nicht das Gefühl hatte, mit ihnen in Konkurrenz zu treten. Ich machte nicht ihre Filme und sie nicht meine.

Wie sehen Sie die Beziehung zwischen Ihrer früheren Kritikerarbeit und dem Filmemachen?

Kritik funktioniert wie eine Autopsie. Man nimmt einen Leichnam, um herauszufinden, warum er leben konnte. Filme machen ist Leben schenken. Wenn man etwas zum Leben erwecken will, kann man keine Autopsie vornehmen. Die Gedankenprozesse, die für die Tätigkeit des Kritikers wichtig sind, werden bei der kreativen Arbeit kontraproduktiv.

Wie verhindern Sie die Einmischung des Kritikers in Ihre kreative Arbeit?

Beim Drehbuchschreiben ist das etwas einfacher, da kann man etwas herumspielen. Früher habe ich nur nachts geschrieben und dabei getrunken. Das kann ich heute nicht mehr, ich bin zu alt dazu. Ich brauche heute zu lange, um mich wieder davon zu erholen. Beim Regieführen ist es etwas schwerer, den Analytiker in Grenzen zu halten. Ein großer Teil dieser Arbeit besteht im Management von Zeit. Bei den Dreharbeiten muß man sehr darauf achten, nicht die magischen Momente zugunsten des brillianten Zeitplans abzuschneiden.

Diese Störung gibt es zwischen Ihrer Autorenarbeit und der des Regisseurs wohl nicht?

Das nicht; aber früher, von der Filmschule kommend, hatte ich die Autorenfilmidee im Kopf. Das finde ich heute nicht mehr so aufregend. Ich glaube, es gibt einen kreativen Bruch, wenn Autor und Regisseur verschiedene Personen sind. Aus deren Begegnung kann etwas Neues entstehen. Im Moment glaube ich, daß ich als Regisseur besser bin, wenn ich die Drehbücher anderer Autoren verfilme, und daß ich als Schreiber besser bin, wenn ich weiß, daß ein anderer Regisseur mein Buch umsetzt.

Haben sich Ihre Phantasien, da Sie älter geworden sind, verändert?

Ich bin verheiratet und habe zwei Kinder, ich führe ein bürgerliches Leben. Da wird es nur schwieriger zu schreiben. Wenn man unglücklich ist und alleine, ist es viel einfacher. Ich habe heute keine wütenden Leidenschaften mehr, die mich dazu zwingen, mich zum Fenster herauszuhängen und zu schreien.

Vermissen Sie das Unglück?

Nicht in meinem Privatleben, vielleicht aber in meiner Arbeit.

Das Gespräch führte Gunter Göckenjan