Vom Latin Lover zum Käsefabrikanten

■ Ugo Tognazzi, der melancholische Gourmet des italienischen Films, ist tot

Schauspielerisch war er von den Nachrückern der italienischen Commedia d'arte der 50er und 60er Jahre der unauffälligste: wo Walter Chiari mit seiner schnarrenden Fülle, Marcello Mastroianni mit seiner ostentativen Hintergründigkeit, Nino Manfredi mit seiner ständigen Opferattitüde und Vittorio Gassman mit seiner Mischung aus Schäbigkeit und Bourgeoisie wirkten, zeigte Ugo Tognazzi meist nichts anderes als Tognazzi selbst: einen ganz und gar durchschnittlichen Menschen, der seine pyknische Gestalt etwas, aber auch nicht zu melancholisch vorwärts schob und Freude ausstrahlte, wenn es irgendwie doch voran ging und er daran teilhaben durfte.

Auf der Bühne — die er die letzten zehn Jahre dem Film vorzog — wurde man nie den Eindruck los, daß er mehr zum Publikum als zu seinen Dialogpartnern sprach. Vielleicht war es aber gerade das, was Pirandello und Molière, seine Lieblingsautoren, gewollt hatten. In Paris jedenfalls, wo er in den 70er Jahren seinen „Falstaff“ und den „Geizigen“ ebenso exportierte wie die „Sechs Personen suchen einen Autor“, lauschten Kritiker wie Zuschauer trotz hochrangiger Besetzung der anderen Rollen alleine ihm (und dies nicht nur wegen seines Akzents) und priesen die „einmalige Kommunikationsfähigkeit“ Tognazzis.

In den 50er Jahren hatte es freilich so ausgesehen, als ob der 1922 in Cremona geborene Tognazzi, nach einer Vielzahl bereits erlernter und wieder verworfener Berufe, allenfalls für eine „Latin Lover“-Rolle gut sei (beim Film wie auch privat — man denke nur an seine schier unerschöpfliche internationale Kinderproduktion): Sex- und Klamaukfilme mit Tognazzi gibt es in Masse. In manchem Jahr drehte er nicht weniger als zwölf Streifen dieser Sorte. Dann kam, 1961, ganz unvermittelt, das Angebot Salces, in dessen Il Federale („Zwei in einem Stiefel“) den Faschisten Primo Arcovazzi zu spielen, der einen mit der „Resistenza“ zusammenarbeitenden Professor fangen und nach Rom bringen soll. Es war nicht nur der Durchbruch Tognazzis — es war auch der nicht wieder erreichte Höhepunkt der differenzierten Darstellung faschistischer Identität.

Tognazzis schwarzhemdiger Verfolger zeigt so erbärmlich, wie sehr er auf das ideologische Gerüst der Partei angewiesen ist, wie schrecklich ihm die Angst heraufkriecht, sobald er Menschen aus Fleisch und Blut berührt und sich nicht an abstrakte Denkkategorien über Weltmacht und historische Aufgaben des römischen Volkes halten kann, daß man auf einen Schlag die ganze Misere des faschistischen Charakters versteht — aber auch seine nie hoch genug anzusetzende Gefährlichkeit. La voglia matta („Lockende Unschuld“) kam da längst nicht mehr heran, auch nicht der 1962 gedrehte Marsch auf Rom (die Geschichte des unfreiwillig zu Mussolini haltenden Umberto Gavazza).

Dennoch wußte sich Tognazzi aus der Dauerrolle des gebrochenen Bösewichts zu befreien, spielte in mehr als 150 weiteren Filmen Industrielle und Fußballtrainer, Bonvivants und kleine Schieber, Polizisten und Irre. Sein letzter eindrucksvoller Erfolg war Die Tragödie eines lächerlichen Mannes von Primo Spaggiari, die Geschichte eines Käsefabrikanten, der in undurchsichtige Vorgänge — unter anderen die Entführung seines Sohnes — verquickt wird und daran zerbricht.

Dazwischen machte Tognazzi eher platte Fernsehshows — doch gleichzeitig entwickelte er sich zu einer Sonderkapazität auf anderem Gebiet: dem der Gastronomie. Eine Liebe, die er auch in seinen Filmen durch entsprechende Szenen kultivierte. Derart, daß er sich für eine geplante Verfilmung von Platons philosophischem Hauptwerk „Das Gastmahl“ ohne Zögern gegen all die versammelten Geistesgrößen und Politiker für die einzige „tragende“ Rolle entschied — die des Sklaven, der den erlauchten Denkern alle paar Minuten die Fressalien anbietet, beschreibt und mundgerecht eingibt. Werner Raith