Wie der Chunnel finanziert wird

■ Baukostenexplosion und handfeste Skandale wie bei allen Großprojekten

Eigentlich ist es wenig erstaunlich, daß die Röhren mit 4,7 Milliarden Pfund kalkuliert wurden, derzeit 6,8 Milliarden kosten sollen und nach einer Prognose 1993 rund 8,5 Milliarden Pfund erfordern werden. Das sind 20 bis 25 Milliarden DM. Wenn innerhalb von zehn Jahren tatsächlich doppelt so viel Geld verbaut wird wie ursprünglich veranschlagt, bleiben die Kosten aber durchaus im Rahmen. Schätzungen für solche Großbauvorhaben erweisen sich eben regelmäßig als falsch. Die Frage ist dann immer, woher die zusätzlichen Mittel kommen. Doch hier unterscheidet sich der Chunnel von anderen Projekten: Denn von den gleichfalls milliardenteuren Anschlüssen auf beiden Seiten abgesehen, wird er, Maggie Thatchers Sieg, privat finanziert. Zum einen durch Kapital der britisch-französischen Aktiengesellschaft Eurotunnel plc, zum anderen durch Kredite, die eben jene Eurotunnel plc bei einem Konsortium aus rund 210 Banken aufnimmt. Zunächst waren Aktien für eine Milliarde Pfund plaziert worden, und die Geldhäuser liehen fünf weitere Milliarden.

Die Verhandlungen über den prompt erforderlichen Nachschlag haben sich immerhin ein Jahr hingezogen, sind jetzt aber abgeschlossen: Das Aktienkapital wird Mitte November um weitere 500 Millionen Pfund erhöht, die Privatbanken geben 1,8 Milliarden und die Europäische Investitionsbank 300 Millionen Pfund an Krediten. Maggie Thatcher war zwischendurch allerdings verärgert: Die japanischen Banken, die auch innerhalb dieses Konsortiums eine gewichtige Rolle spielen, hatten sich bei der Gewährung des Nachschlags nämlich äußerst zurückhaltend gezeigt. Das war zweifellos in ihrem Interesse, denn sonst hätte die Transmanche Link, die Gesellschaft der zusammengeschlossenen Baufirmen, die Kosten weiterhin ungehemmt explodieren lassen. Um den Druck auf die Banken zu erhöhen, schickte Thatcher im August einen Brief an die japanische Regierung, in dem sie auf die große wirtschaftliche Bedeutung des Baus für Großbritannien hinwies. Inzwischen fließt Geld aus Tokio in den Tunnel.

Ebensowenig wie die Baukostenexplosion blieben auch die Skandale aus. Weil unklar ist, ob der Eurotunnel je wirtschaftlich arbeiten wird, sind die in London und Paris gehandelten Aktien eine hochspekulative Angelegenheit. Prompt wurden im letzten November Ermittlungen gegen drei französische Börsenhändler eingeleitet, die sich auf das gemeinsame Verbreiten von Gerüchten verständigt haben sollen, um den Kurs in den Keller zu bringen und das Papier dann billig zurückzukaufen. Und wenige Tage später mußte Eurotunnel-Direktor Jean-Paul Parayre gehen. Seine Pflichten gegenüber dem Auftraggeber vertrugen sich nicht so recht mit seiner Arbeit als Chef des Baukonzerns Dumez, einem der großen Auftragnehmer innerhalb des Konsortiums Transmanche-Link.

Und was wird die Bahnfahrt dereinst kosten? Schätzungen, die von 60 Pfennig pro Kilometer ausgehen, gelten heute bereits als veraltet. Gut haben es da die AktionärInnen, die vor vier Jahren 1.500 Anteilsscheine zu 350 Pence gekauft haben. Für die Investition von rund 15.000 DM dürfen sie den Chunnel bis zum Jahr 2045 kostenlos benutzen. Jetzt, wo sich starke Preissteigerungen für Tickets und Billets abzeichnen, erhalten Anteilseigner dieses Recht nicht mehr, sondern nur noch einen Sondertarif. diba