KOMMENTAR
: Es gibt keine militärische Lösung

■ Die jüngsten Äußerungen von Bush und Baker rücken einen Krieg in greifbare Nähe

Die multinationalen Verbände am Golf haben ihre „Einsatzstärke“ erreicht, und die diplomatischen Möglichkeiten scheinen ausgeschöpft. Ein Krieg am Golf ist in greifbare Nähe gerückt. Pardon, das schäbige Wort „Krieg“ ist selbstverständlich zu vermeiden.

So wie die protestantische Theologie den Teufel um Klauen und Klumpfuß, Schweif und Schwefelgestank brachte, „entsorgen“ Bush und Baker den Begriff des Krieges. Ein möglicherweise Hunderttausende von Menschenleben fordernder Waffengang wird im Politikermund zur „militärischen Lösung“, zur „Zerschlagung des irakischen Angriffspotentials“, zur „Beschneidung von Hegemoniegelüsten“ oder zur „Eliminierung Saddams“.

Auch etliche nationale und internationale Leitartikler haben bereits die Feder mit dem durchgeladenen Colt vertauscht. Der sowjetischen Führung, die sich nach wie vor nicht mit einer „militärischen Lösung“ abfinden mag, wird indirekt vorgeworfen, einen „Nebel“ zu schaffen, hinter dem die grundlegenden Fakten fast unsichtbar geworden seien. Und sogar Washington wird angesichts der Zögerlichkeit, den Fall unverzüglich zu „lösen“, mangelnder politischer Wille attestiert. Das Warten auf einen günstigen Zeitpunkt für einen Kriegsbeginn und die Suche nach einem möglichst populistisch präsentierbaren Anlaß für den Showdown am Golf dauert einigen sichtlich zu lange.

Keine Frage, Saddam Hussein, ein wahrer Wolf im Wolfspelz, hätte sich seine „Eliminierung“ redlich verdient. Und auch vor einem Krieg schreckte er im Falle des Iran nicht zurück. Dennoch, diesmal will Saddam keinen Krieg. Er setzt auf Zeitgewinn.

Je länger die Präsenz der westlichen Truppen auf saudischem Boden anhält, desto größer sind die Aussichten, daß in der arabischen Öffentlichkeit aus „Beschützern“ schlicht „Besatzer“ werden. Und an eine auch nur mittelfristige Dauerhaftigkeit der neuen arabisch-amerikanischen Waffenallianz glaubt Saddam ohnehin nicht.

Auch wenn Baker bei seiner nun bevorstehenden Nahostreise Israel tunlichst aussparen wird, darf Saddam auf eine „Israelisierung“ des Golfkonflikts hoffen. Das Massaker vom Jerusalemer Tempelberg war für den Bagdader Despoten ein propagandistisches Geschenk ersten Ranges.

Bedeutender als die Frage, wie Saddam Hussein zu „eliminieren“ sei, ist, was damit — außer einem zerstörten Land und zahllosen Toten — erreicht wäre. Auf kurze Sicht sicherlich einiges für die Industriestaaten und die nunmehrige Soloweltmacht USA: die Beseitigung eines politisch mißliebigen Staatschefs, der sich obendrein als Führer der „arabischen Nation“ gebärdet. Auch der Zugang zum arabischen Öl und die Kontrolle der Ölströme kämen wieder in bewährte Hände. Und schließlich wäre Kuwait — ohne Öl ein politisches Fliegengewicht wie das ozeanische Königreich Tonga — wieder „frei“. Freilich, der Gedanke an echte demokratische Freiheiten kam den kuwaitischen Potentaten und Regierungspolitikern reichlich spät: erst nach der irakischen Invasion.

Ungelöst blieben aber nach wie vor alle alten Konfliktherde der Region. Weder das Libanon- Problem noch die Palästina-Frage wären einer wie auch immer gearteten Regelung näher gekommen. Fraglos aber würden durch einen Krieg am Golf arabisch-nationalistische und islamisch-fundamentalistische Bewegungen neuen Zulauf erhalten. Und wer kann letztlich schon wissen, ob sich die alten, kalkulierbaren Machtstrukturen im Nahen Osten dann als stabiler erweisen werden als jene Osteuropas? Daß aber die Entwicklung in einer eventuellen „Post-Saddam-Ära“ zwangsläufig zu einer Demokratisierung der Region führen wird, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden. Walter Saller