Ein müder „Weizsäcker der Kommunalpolitik“

Am Sonntag wird in Stuttgart der Oberbürgermeister gewählt/ Rommel allein auf der Zielgeraden/ Einziger Gegenkandidat ist der AL-Politiker Rezzo Schlauch/ Keine Chance für Schlauch zum offenen Schlagabtausch  ■ Aus Stuttgart Erwin Single

Jetzt kämpft er für seine Stadt — „Rezzo räumt auf“. Zwischen Kino- Werbespots und Vorfilm macht neuerdings Rezzo Schlauch, OB-Kandidat der Grünen als Action-Held Wahlkampf für die „Entscheidung in Stuttgart“. Am nächsten Sonntag kommt es in der baden-wüttemberischen Landeshauptstadt zum Duell des schwergewichtigen Herausforderers Schlauch gegen den populären Amtsinhaber und Städtetagspräsidenten Manfred Rommel (CDU) um den Sessel des Rathauschefs. Noch ehe Schlauchs „Operation Machtwechsel“ (Kino-Slogan) mit Veranstaltungen und unter prominenter Unterstützung etwa durch Joschka Fischer, Daniel Cohn-Bendit oder den Autor Felix Huby richtig ins Rollen kommt, ist die Wahl bereits gelaufen. Selbst Schlauch, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Stuttgarter Landtag, weiß, daß er Rommels Stuhl allenfalls kräftig ins Wanken, nicht aber kippen bringen kann. Schon Anfang des Jahres ist die Stuttgarter SPD nach heftigen innerparteilichen Auseinandersetzungen vor dem liberalen Statthalter der Union in die Knie gegangen und hat auf eine Gegenkandidatur mangels überzeugender Alternativen verzichtet. Man wolle sich nicht noch einmal so erfolglos wie vor acht Jahren mit dem „Weizsäcker der Kommunalpolitik“ messen.

Nicht zuletzt das Kneifen der Sozialdemokraten hat Schlauch zur eigenen Kandidatur bewogen. Ganz so unbedrängt will er Rommel das Feld nicht überlassen. Aber Schlauch ist mehr als bloßer Zählkandidat. Schonungslos geht der Grüne (in den Reihen von CDU, SPD und FDP als ernstzunehmender politischer Streiter geschätzt) mit dem Stuttgarter Oberbürgermeister ins Gericht. Rommel, so Schlauchs Hauptvorwurf, gestalte nichts mehr, sondern verwalte lediglich; ihm fehle jegliche Leitlinie für die Industrieregion „Mittlerer Neckarraum“, dessen Herz in der schwäbischen Landeshauptstadt schlägt. Rommels Initiativlosigkeit haben auch die gewichtige IHK seit drei Jahren zunehmend auf Distanz gegenüber dem Rathaus gehen lassen. Stuttgart sei lediglich „zweitklassig“ und „ohne Profil“, formuliert es spitz IHK-Chef und DIHT-Präsident Hans-Peter Stihl. Der Mittlere Neckarraum leidet seit langem unter seiner gefährlichen Monostruktur im Produktionssektor und der starken Abhängigkeit vom Fahrzeugbau samt Zulieferindustrie. Nicht nur Rommels politische Gegner werfen dem ehemaligen Finanz-Staatssekretär von Filbinger vor, er sei im Prinzip ein eisener Sparer geblieben und habe es versäumt, strukturpolitisch Akzente zu setzen. Erst als der gute Stern über Stuttgart zu sinken begann und Daimler-Benz ausgerechnet seinen zukunftsträchtigen Dienstleistungsbereich „Inter- Services“ nach Berlin verlegte, wachte man auch im Stuttgarter Rathaus auf: nach der Konzern-Neuordnung fehlen nun knapp 150 Millionen DM an Gewerbesteuern in der Stadtkasse. Rommel: „Wir werden in finanzielle Schwierigkeiten kommen.“

Gerade beim Strukturwandel, so Schlauch, müsse ein OB „Schrittmacher“ sein. Während die IHK vorrangig in der schlechten Verkehrsinfrastruktur und dem gering ausgeprägten Dienstleistungsbereich die Engpaßfaktoren Stuttgarts sieht und auf deren Ausbau setzt, schwebt dem Kandidaten Schlauch eine ökologische Strukturreform für den Ballungsraum vor. Auch er verweist auf die starke Abhängigkeit der Region von der industrieller Produktion, die seiner Ansicht nach ökologisiert werden müsse. Schlauch setzt dabei auf eine verstärkte Zusammenarbeit der Region, verbesserten Wissenschaftstransfer sowie die Einsicht vieler Unternehmen, daß sich auch mit Ökologie Gewinne erzielen lassen. Daß Rommel damit nicht viel am Hut hat, dessen ist sich Schlauch sicher. Abgesehen davon, daß die Umweltzerstörung in der Stadt etwa durch den drohenden Verkehrsinfarkt die Ressourcen zunehmend belaste, so der Herausforderer, betreibe der OB nach wie vor einen „gnadenlosen Atomkurs“, in dem er an dem jahrelang ohne atomrechtliche Abschlußgenehmigung betriebenen Uralt-Reaktor Obrigheim festhalte und der Landesregierung mit einer Schadensersatzklage drohe.

Auch für Rommel ist die regionale Strukturpolitik inzwischen zum wichtigsten Faktor geworden. Als Chef der Stadtverwaltung stützt sich der OB aber lieber auf seine Steuerstatistik als auf hochtrabende Visionen, die er als Halluzination abtut. „Einen Himmel auf Erden verspreche ich Ihnen nicht“, erklärte das humoristische Redetalent beim Wahlkampfauftakt. Doch viele glauben, daß der 61jährige Rommel hinter seinen Späßen und philosophischen Weisheiten oft eine resignative Grundhaltung verberge. So ist es nicht verwunderlich, daß der OB mit einem kreuzbiederen Programm, das sich am Finanzierbaren orientiert, der imagelosen Landeshauptstadt auf die Sprünge helfen will: So zum Beispiel mit der Pflege der Wirtschaft und dem Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, insbesondere des öffentlichen Nahverkehrs. Dem nach 16jähriger Amtstzeit etwas müde wirkenden Rommel fällt das Regieren in der 580.000 Einwohner zählenden Stadt zunehmend schwer. Die CDU hat im Gemeinderat seit der Kommunalwahl im Herbst nur noch 20 Sitze; die SPD ist mit 18, die Grünen mit 7, FDP und Reps mit je 6 und die Freien Wähler mit 3 GemeinderätInnen vertreten. Rommel muß sich mit wechselnden Mehrheiten zurechtfinden, die nicht immer ihm folgen. Gegen den Flughafenausbau zog sein eigener Gemeinderat vors Verwaltungsgericht; bei der Genehmigung des umstrittenes Porsche- Parkhauses setzte sich der sonst risikoscheue Rommel einfach über das Ratsvotum hinweg.

Schlauch hat in seiner Konzeption des „anderen Stuttgart“ Schwerpunkte im sozio-kulturellen Bereich gesetzt. Gerade dort, wo Rommel mit einer liberalen Ausländerpolitik und seinem Einsatz für eine multikulturelle Gesellschaft einen Gutteil seines bundesweiten Renomees erworben hat, greift Schlauch an: im Ausländeramt der Stadt sei von Rommels Positionen wenig zu spüren; die Verwaltung schöpfe oft nicht einmal den Verwaltungssielraum aus. Der mit einem „liberalen Heiligenschein“ versehene Rommel gebärde sich „knallhart in der Exekutive“, so der Kandidat Schlauch. Dies, so Schlauch weiter, äußere sich auch im demokratischen Verständnis Rommels, der auf Stadtteilversammlungen „wie ein Monarch“ Hof halte, Bürgerinitiativen abbügle und berechtigte Interessen von Nachbargemeinden links liegen lasse.

Rezzo Schlauch, mit seinem populistischen Kurs bei einigen grünen Ratsmitgliedern indes nicht unumstritten, ärgert sich am meisten darüber, sich mit Rommel nicht direkt im Schlagabtausch messen zu können. Eine öffentliche Vorstellung aller 13 OB-Kandidaten platzte, nachdem eine Gruppe Autonomer lautstark den Kandidaten der rechtsradikalen Parteien FAP und Reps nicht zum Reden kommen ließ. Ein Rundfunk-Streitgespräch scheiterte ebenfalls. Rommel dementiert alle Unkenrufe, er brauche ohnehin keinen Wahlkampf mehr zu machen: er zeige sich auch noch auf der Straße, damit die Leute nicht glauben, er hätte schon gewonnen.