Adelheid Streidel: „Eine konsequente Frau“

Die Lafontaine-Attentäterin steht in Köln vor Gericht/ Anklage geht von „Schuldunfähigkeit“ aus/ Gutachter: „Halluzinatorisch-paranoide Psychose“/ Adelheid Streidel bestreitet den Mordvorsatz nicht, fühlt sich aber gesund  ■ Aus Köln Ulrike Helwerth

Die Frau hatte eine Auftrag, und den hat sie mit großer Energie geplant und ausgeführt. Daß sie „ihr Ziel nicht erreicht“ hat, bedauert sie offensichtlich. „Eine so konsequente Frau habe ich noch nicht erlebt“, sagt Rechtsanwalt Hermann Wegener über seine Mandantin. Die Frau, von der die Rede ist, heißt Adelheid Streidel. Bekannt wurde sie als „die Lafontaine-Attentäterin“. Seit gestern steht Adelheid Streidel vor Gericht. In der Anklage heißt es, sie habe „im Zustand der Schuldunfähigkeit“ einen Menschen, den SPD-Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine, heimtückisch töten wollen.

Adelheid Streidel bestreitet den Mordvorsatz nicht. Im Gegenteil: Bei ihrer Vernehmung nach der Tat gab sie zu Protokoll, sie habe einen Politiker töten wollen, „weil ich ein Signal setzen wollte“, daß es in Deutschland Fabriken gibt, wo Menschen getötet werden. Was Adelheid Streidel der Öffentlichkeit unbedingt mitteilen will, lautet mit kleinen Variationen so: Sie sei von „Wissenschaftlern“ informiert worden, daß es in der Bundesrepublik und überall auf der Welt „Menschenfabriken“ gebe, in denen tausende Menschen getötet und zu Fleischkonserven verarbeitet werden. Sie selbst habe eine solche „Institution“ schon einmal besucht. Jesus Christus sei ihr erschienen und habe erklärt, daß die Erde gerettet werden kann. Zunächst habe sie den „Auftrag“ bekommen, die Bevölkerung aufzuklären. Weil das nichts fruchtete, hätte sie „selbst nach Bonn gehen müssen, um einen Politiker zu töten“. Die Beschuldigte trägt ihre ungeheuerliche Geschichte vor dem Kölner Landgericht ohne sichtbare Emotionen vor. Nur manchmal lächelt sie. Der Auftrag, den Adelheid Streidel bereits 1978 erhalten haben will, wird in den kommenden Jahren immer dringender. 1984 fängt sie an, handgeschriebene Zettel an Bäume und Hauswände ihrer Heimatstadt Heppingen zu kleben — Aufrufe zu Demonstrationen gegen Menschentötungsfabriken der Bonner Regierung. Die sehr zurückgezogen lebende Frau gilt im Ort bald als „verrückt“. Anfang 1986 legt sie in einer Druckerei einen Brand. Daraufhin kommt sie wegen „paranoider Schizophrenie“, die — so das damalige psychiatrische Gutachten — eine „erhebliche Fremdgefährdung“ beinhalte, in die geschlossene Psychiatrie und später in eine Tagesklinik. Nach medikamentöser Behandlung scheint sie soweit gebessert, daß im Juli 1987 die „Gebrechlichkeitspflegschaft“ aufgehoben wird.

Doch Adelheid Streidel kommt auf ihren Auftrag zurück. Gemäß ihrer „ privaten Logik“ (Helmut Spies, Gutachter vor dem Kölner Landgericht) plant sie den letzten Schritt. Am 25. April 1990 begibt sie sich zu einer Wahlveranstaltung der SPD in Köln. Am Ende nähert sie sich mit einem Blumenstrauß, einem Poesiealbum und zwei Messern in der Tasche dem Kanzlerkandidaten Lafontaine. Als der gerade sein Autogramm in das Büchlein setzen will, sticht sie zu. „Ist Ihre Mission nun erfüllt?“, fragt der Vorsitzende Richter Bruno Terhorst. „Nein“, sagt Adelheid Streidel, „ich habe mein Ziel nicht erreicht. Solange ich in Deutschland lebe, habe ich den Auftrag, einen Politiker zu töten“. Schuldgefühle lehnt sie ab.

Adelheid Streidel, bleich und sichtlich nervös, versucht, nach außen Ruhe zu bewahren und scheint aufmerksam zuzuhören, was Richter und die Gutachter über ihre Krankengeschichte und ihr Krankheitsbild zu sagen haben. Sie unterbricht sie mehrere Male: „Ich möchte, daß sie ins Protokoll aufnehmen, daß ich total gesund bin“. Die Fachmänner hingegen diagnostizieren der Beschuldigten eine „halluzinatorisch-paranoide Psychose aus dem schizophrenen Symptomkreis“. Die „oberflächlich freundlich und angepaßte Frau“ lebe in einem geschlossenen Wahnsystem und habe keinerlei Einsicht in ihre Krankheit. Gutachter Helmut Koester, ehemaliger Leiter des Landeskrankenhauses Düren — dort wurde Adelheid Streidel nach der Tat zunächst eingeliefert — findet in dem „weitgehend unauffälligen Werdegang“ der Beschuldigten keine Anhaltspunkte für die Krankheit. Am Rande wird ihre Scheidung 1978, der Tod ihrer Mutter 1989 und zwei Vergewaltigungen erwähnt, die Adelheid Streidel wohl zu Protokoll aber nie zur Anzeige gebracht hat. Die Krankheit ließe sich nur durch psycho-pathologische Symptome nachweisen, die ganz typisch für Schizophrenien seien, so Koester. Seine Prognose lautet: Die Kranke ist kein hoffnungsloser Fall, auch wenn sie zur Zeit hoch gefährlich erscheint. Er empfiehlt die Unterbringung in der Psychiatrie und eine intensive Therapie, zunächst mit Medikamenten, um erst einmal „die Wahnideen zum Wegschmelzen zu bringen“. Danach müsse „sehr sorgfältig“ geprüft werden, ob eine „Restsymptomatik“ bleibe.

Auch die Staatsanwaltschaft hat bereits nach §63 StGB die dauerhafte Unterbringung von Adelheid Streidel in einer psychiatrischen Anstalt beantragt. Spielraum für das Urteil sieht Verteidiger Hermann Wegener kaum. Er könne eigentlich nur darauf hinarbeiten, daß seine Mandantin einwillige, die notwendigen Medikamente zu nehmen. Seit ihrer Verhaftung und Einweisung in die Psychiatrie aber verweigert sich Adelheid Streidel jeder medikamentösen Behandlung: „Mir ist zugesagt worden, wenn ich einen Politiker getötet habe, wird mir Hilfe zukommen“.

Der Prozeß wird am 5. November vor der zwölften großen Strafkammer des Landgerichts Köln fortgesetzt.