Gen-Petunien: im nächsten Jahr neu

■ Erste Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen wird wiederholt/ Diesmal soll das Scheitern des Experiments erforscht werden/ Notfalls wollen die Forscher nach Belgien ausweichen

Bonn (taz) — Die Natur ist unberechenbar: das Petunien-Experiment, die erste genehmigte Freisetzung gentechnisch manipulierter Pflanzen in der BRD, wurde zum großen Flop. Die Petunien erbleichten in der Sommerhitze, und die Wissenschaftler des Kölner Max-Plack-Institus für Züchtungsforschung mußten eine Reihe von „unerklärlichen“ Phänomenen hinnehmen. Dennoch planen sie im Frühjahr '91 für die peinlichen Petunien eine zweite Runde.

Mehr als 30.000 genmanipulierte Balkonpflanzen hatten die Forscher im Mai ausgepflanzt. Einige wenige Pflanzen, so die Theorie, sollten nicht rot, sondern weiß blühen und damit signalisieren, daß hier das seltene Phänomen eines „springenden Gens“ den Farbumschlag ausgelöst hat. Im Sommer jedoch trauten die Kölner ihren Augen nicht: das ganze Feld prangte im prächtigen Weiß. Auch heute können Prof. Saedler und Dr. Peter Meyer, die Verantwortlichen des Experiments, nicht sagen, was da passiert ist. Umwelteinflüsse, so trugen sie gestern in Bonn vor, hätten wohl dazu geführt, daß „molekulare Reiterchen“ eine bestimmte Gen-Region der Petunien blockieren. Ob dabei die Sommerhitze, UV- Strahlung, Feuchtigkeit, Bodenzusammensetzung oder etwas anderes im Spiel war, weiß weder Saedler noch Meyer. Doch der Fall „verlangt nach Aufklärung“ — und damit nach einem neuen Freiland-Versuch.

Das Erbleichen war nicht die einzige Überraschung. Bisher war es ein Dogma aller Gen-Ingenieure, daß transgene Organismen sich in der Umwelt gegenüber ihren „natürlichen“ Artgenossen nicht durchsetzen können. Wieder sind es die im übrigen patentgeschützten Kölner Petunien, welche die Fachwelt eines besseren belehren: Die neu konstruierten Pflanzen waren vitaler als die natürlichen, trugen deutlich mehr Blätter, Blüten und Triebe.

Doch genau diejenigen, die bei den heftigen Diskussionen um die Risiken des Experiments immer die Berechenbarkeit zum Prinzip erhoben, entdecken nun die „Überraschung“ als das Wesen ihrer Wissenschaft. Langweilig sei es, meinte Saedler, wenn immer nur das herauskomme, was man erwarte. Nun müsse das Unerklärliche erforscht werden. Dazu sollen nochmals 20.000 genmanipulierte Petunien auf die Äcker. Der Antrag auf erneute Freisetzung ist bereits gestellt. Doch diesmal muß nach dem neuen Gentechnik- Gesetz der Versuch durch ein öffentliches Anhörungsverfahren. Wenn das zu Verzögerungen führe, wollen Saedler und Meyer ihre transgenen Petunien dennoch ausbringen — im Ausland. Auch wenn sie gestern versicherten, das dies noch nicht vorbereitet werde, sehen die internen Pläne ganz anders aus. Bis Anfang Oktober signalisierte das Institut dem BGA, seinen Antrag lieber nicht zu bearbeiten. Man hatte sich erst mal für den bequemen Weg entschieden: Freisetzung in Belgien. Gerd Spelsberg