Hauptziel: doppelte Staatsbürgerschaft

■ Politisch aktive ImmigrantInnen lassen sich vom Urteil nicht entmutigen

Es war sicher nicht die pure Ausländerfreundlichkeit, die Saleh Hussain einen Sitz als Abgeordneter in der Bezirksversammlung von Berlin- Pankow verschafft hat. Die Einführung des kommunalen Ausländerwahlrechts im Frühjahr 1989 in der DDR war nie anders als ein Propagandamanöver gedacht. Doch als am 6. Mai 1990 in der DDR erstmals unter anderem Vorzeichen Kommunalwahlen stattfanden, existierte zwar die alte SED nicht mehr, wohl aber das Wahlrecht für Ausländer. Saleh Hussain, irakischer Staatsbürger und vor 21 Jahren in die DDR gekommen, kandidierte für das Bündnis 90 in der Annahme, auch er gehöre zum Volk — und wurde von selbigem gewählt. Seit gestern fühlt er sich zwar nicht verfassungswidrig, aber doch „etwas komisch“, wenn er sein Bezirksbüro betritt.

Eine leise Hoffnung hatte Hussain bis zuletzt in die Verfassungsrichter in Karlsruhe gesetzt, auf daß sie die Demokratie „nicht nur einseitig auslegen werden“. Seit gestern sind er und seine mongolische Kollegin von der SPD-Fraktion empört und gleichzeitig ratlos, was nun aus ihnen werden soll. „Rausschmeißen“, sagt Hussain, „können sie uns ja wohl nicht — gewählt ist gewählt.“

Helle Empörung, aber auch ein resigniert-gefaßtes „Wir haben‘s doch geahnt“ waren aus den alten Bundesländern und West-Berlin zu hören. Gefordert wird von den politisch aktiven ImmigrantInnen längst mehr als die kommunale Mitbestimmung über Verkehrsampeln und Schwimmbadpreise. „Damit löse ich nicht die Probleme der Minderheiten“, erklärte Kenan Kolat vom Aktionsbündnis gegen das Ausländergesetz, einem Zusammenschluß von ImmgrantInnengruppen unterschiedlichster politischer Couleur. Doppelte Staatsbürgerschaft, so Kolat, heißt das Ziel, auf das alle Kräfte vereint werden sollen.

Entsprechende Maßnahmen werden bereits in Frankfurt vorbereitet. Der Dezernent für multikulturelle Angelegenheiten, Dany Cohn-Bendit, präsentierte als Reaktion auf das Gerichtsurteil einen Gegenkatalog: Geplant ist die Einrichtung einer von von ImmigrantInnen gewählten kommunalen Ausländervertretung, die quasi neben dem Stadtparlament existieren soll. Wenn auch qua Rechtslage wirkliche legislative Kompetenzen nicht möglich sind, sollen doch die Parteien im Stadtparlament eine Verpflichtungserklärung abgeben, um deren Votum bei allen immigrantenpolitischen Fragen zu berücksichtigen. Mit Inkrafttreten des neuen Ausländergesetzes soll außerdem eine Kampagne zur Einbürgerung gestartet werden. Nach den Wahlen am 2. Dezember will man in Frankfurt eine Gesetzesvorlage für die doppelte Staatsbürgerschaft initiieren. „Nicht niederschlagen lassen“, appellierte Cohn- Bendit, der mit Grübeleien über das ideologische Gedankengut von Verfassungsrichtern erst gar keine Zeit verschwenden will. „Manchmal sind sie relativ fortschrittlich, manchmal 50 Jahre zurück.“ Andrea Böhm