»Linke reden gern über Rassismus«

■ Neue kulturelle Identitäten in Berlin und London: Interview mit dem britischen Regisseur Isaac Julien zu neuen europäischen Identitäten — jenseits der überkommenen Nationalitäten

Metropolen, Minderheiten, Multikultur — in allen großen Städten Westeuropas ist das Zusammenleben von »Ureinwohnern« und zugewanderten ethnischen Minderheiten ein Dauerdiskussionsthema. Längst handelt es sich bei letzteren nicht mehr um Gäste, längst müßte allen klar sein, daß es die Nationalstaaten nicht mehr gibt, daß sich eine künftige europäische Identität und Kultur auch nicht aus einzelnen nationalen Kulturen der beteiligten Länder bilden wird — sondern innerhalb dieser Länder schon eine breite Multikultur besteht.

In Großbritannien beispielsweise leben Millionen überzeugter Europäer schwarzer Hautfarbe — und führen damit den immer noch an der Rasse orientierten Begriff des »Europäers« ad absurdum. Der britische Filmregisseur Isaac Julien, der sich auch in seinem jetzt angelaufenen Film »Looking for Langston« mit solcherlei Identitätsfragen befaßt, ist einer von ihnen. Als Kind schwarzer Einwanderer aus der ehemals britischen Karibik reichen seine Wurzeln über drei Kontinente. Er ist Schwarzer, Schwuler, Brite und überzeugter Europäer — und er genießt diese Mischung. Mit Blick auf die vergleichsweise zurückgebliebene Berliner Diskussion sprach die taz mit Isaac Julien bei der Berliner Premiere seines Films über den Stand des multikulturellen Denkens in London — und über Sankofa. So heißt in der afrikanischen Mythologie ein Vogel, der in die Vergangenheit sehen kann, um die Zukunft vorzubereiten. Und so heißt auch der schwarze Filmworkshop, dem Julien in London angehört.

taz: Mögen Sie das überhaupt, wenn ich Sie jetzt als »schwarzen Künstler« interviewe? Fühlen Sie sich da nicht als Person nur auf eine einzige Eigenschaft reduziert?

Isaac Julien: Nein. Ich identifiziere mich stark mit der Hautfarbe Schwarz und sehe darin einen positiven Beitrag zur Weiterentwicklung der europäischen Identität. Das wirft Fragen auf, die sehr wichtig sind. Eigentlich ist die ganze Frage der schwarzen europäischen Identität aber eine sehr altmodische: Schwarze sind in Europa schon sehr lange präsent.

Fühlen Sie sich als Teil der ersten Generation schwarzer Europäer?

Nein, eigentlich nicht. Es gibt einfach schon eine große Komplexität an schwarzen Erfahrungen in Europa. Es gab beispielsweise schon viel früher die schwarzen amerikanischen Exilanten — wie etwa James Baldwin oder Richard Wright, die die letzten Jahre ihres Lebens in Europa verbracht haben. Es gab zudem immer eine enge Verbindung zwischen schwarzer Identität und Europa über den Kolonialismus.

Wo kommt Ihre Familie her?

Aus Santa Lucia in der Karibik. Wir sind Teil des britischen Commonwealth. Meine Eltern wuchsen dort auf und kamen in den fünfziger Jahren nach England. Meine Eltern leben nun schon gut dreißig Jahre in England. Man könnte eigentlich sagen, daß sie auch Engländer sind.

Sind Sie waschechter Londoner?

Ja, aus East-London.

Was ist der »Sankofa Black Workshop«?

Nur einer der schwarzen Workshops, die Mitte der achtziger Jahre gegründet wurden. Solche Workshops sind in Großbritannien sehr spezielle Filmproduktionsgesellschaften, die von unabhängigen jungen Filmemachern auf die Beine gestellt wurden. Wir wollten mehr politische Autonomie haben, wenn wir Beiträge für Channel Four herstellten. Diese Workshops haben sich zugleich die eigene Aus- und Fortbildung zum Ziel gesetzt, aber vor allem auch eine kollektive, autorenorientiertere Praxis des Filmemachens. Die Filme, die dabei herauskommen, sind gewöhnlich nicht so konventionell journalistisch oder dokumentarisch. Sie sind nachdenklicher, meditativer. Zu Beginn waren sie auch eine Antwort auf die Riots in Großbritannien. Damals zogen schwarze und weiße Jugendliche auf die Straßen und zeigten der Polizei ihre ganze Wut über die Lebensbedingungen.

Verstehen Sie das Attribut »schwarz« im Workshop als ein politisches oder künstlerisches Programm, oder beschreibt es nur die Tatsache, daß die Mitglieder alle schwarz sind?

Als wir damals zu Beginn des Jahrzehnts an renommierten Londoner Colleges unsere Abschlüsse gemacht hatten, stellten wir ein gemeinsames Ziel fest. Wir wollten grundsätzlich alle erst einmal daran mitarbeiten, eine neue Kontinuität des schwarzen Kinos in Großbritannien zu formen. Vor uns gab es hier zwar schon andere schwarze Filmemacher, aber die machten nur sehr selten Filme. Oft nur in Abständen von fünf oder sieben Jahren. Durch die Gründung eines gemeinsamen Workshops konnten wir Channel Four ein ganzes Programm von Arbeiten anbieten, das sich über Jahre erstreckte. Jedes Jahr machen wir zwei Filme. Und dabei entwickelt sich dann eben genau dieses Gefühl für Kontinuität in einer neuen, unabhängigen, schwarzen Filmarbeit.

Haben Sie dabei ein bestimmtes Publikum, auf das Sie abzielen? Schwarze, Weiße, Intellektuelle ...?

Unsere Filme ziehen sehr unterschiedliche Gruppen an, Studenten, aber beispielsweise auch die Eltern benachteiligter schwarzer Jugendlicher. Inzwischen haben wir eine ganze Reihe europäischer Diskussionen, politischer Diskussionen und Filmeinflüsse hinter uns. Wir sind jetzt sozusagen sehr postmoderne europäische Figuren in einem postkolonialen Großbritannien. Wir machen mit einem solchen Hintergrund zwar schon Filme, bei denen wir ein schwarzes Publikum im Hinterkopf haben — aber wir machen nicht unbedingt Filme, die einem schwarzen Publikum auch gefallen.

Kann man seine eigene Minderheit auch kritisieren, angreifen? Wir haben das kürzlich hier mit Berliner Intellektuellen aus der Türkei diskutiert. Dabei fiel das Argument, in einer Situation voll Haß und Diskriminierung müsse man eine solche Kulturarbeit aus der Minderheit heraus erst einmal nur solidarisch anlegen.

Die politische Situation der Minderheiten ist in jedem europäischen Land anders. In Großbritannien gibt es uns Schwarze schon seit den fünfziger Jahren, da ist das Herangehen nun normaler. Wir haben jetzt eine politische Bildung erreicht, die uns mehr interne Kritik erlaubt.

Halten Sie selbst es für notwendig, Ihre Community auch anzugreifen, sie zu kritisieren und in Frage zu stellen?

Meine eigene Identität ist zugleich schwarz und schwul. Ich kann dazwischen keine Kompromisse schließen. Ich kann mich deshalb nur auf die Dinge verlegen, die ich selbst ausdrücken will. Ich glaube, daß ich als Person dadurch einen sehr speziellen und interessanten Aspekt habe, den ich artikulieren muß. Ich bin dadurch einfach Mitglied von mehreren Communities in London; ich bin Teil der schwarzen Gemeinde und Teil der schwulen Gemeinde. Ich muß also beide Identitäten artikulieren — und zwar gleichzeitig. Was nun das Kritisieren anbelangt: Wenn ich mir die türkische Minderheit in Berlin etwa vorstelle — jetzt, in einer Situation mit sehr viel Nationalismus in Deutschland —, dann ist es für sie sicher sehr schwierig, nun gerade jetzt einen internen Dialog aus der Gemeinde öffentlich auszutragen, während die Community von außen angegriffen wird. Aber ich bin sicher, daß es früher oder später auch hier in der türkischen Gemeinde in Berlin jene Stimmen gibt, die über deutsch-türkische Erfahrungen reden wollen und nicht nur über deutsche oder türkische Erfahrungen. Ich glaube nicht mehr, daß alles in Schwarz und Weiß zerfällt. Das, was genau dazwischen steht, interessiert mich viel mehr. Wir leben doch alle genau in diesem Zwischenraum.

Glauben Sie, daß man Rassismus mit Kunst oder Kulturarbeit bekämpfen kann?

Kunst ist wichtig, wenn man eine politische Diskussion entwickeln will, die den Eurozentrismus und die verschiedenen Formen von Phobien kritisiert. Aber trotzdem mal ehrlich: Wenn die Aufgabe von schwarzer Kunst nur darin bestünde, weißen Rassismus zu kritisieren, dann wäre das eine sehr begrenzte, formalisierte Sache. Da gibt es viel mehr Dinge, über die ich reden will, nicht nur über den Rassismus. Schwarze Menschen reden nicht den ganzen Tag lang nur über Weiße. Oder türkische Leute reden bestimmt nicht nur über deutsche. Wir Schwarzen haben doch unsere eigenen Probleme, unsere eigene historische Entwicklung, den Kolonialismus etwa, den Imperialismus, die Sexualität. Und so hat jede Community ihre ganz eigenen, besonderen Themen. Nehmen Sie doch einmal die Rolle türkischer Frauen in der türkischen Gesellschaft, um die Menschen, nicht nur den Rassismus zu sehen — das würde mich doch sehr reduzieren, wenn ich nur über Rassismus reden sollte. Allerdings muß man sich als Schwarzer in Europa zuerst einmal mit Rassismus auseinandersetzen. Die Linken mögen das sehr, wenn man viel über Rassismus redet, das hat so etwas Revolutionäres. Aber es ist ein sehr einseitiger, beschränkter Blick auf die tatsächliche Kultur und Kunst der Schwarzen oder anderer Minderheiten in Europa. Mein Thema beispielsweise beim Film Looking for Langston ist die Diaspora der Schwarzen, die über die ganze Welt verstreut sind. Da gibt es doch Erfahrungen, die auf Ereignisse im Harlem der zwanziger Jahre zurückgehen — und die könnten nun Relevanz haben für das schwarze europäische Großbritannien von heute ... Interview: Thomas Kuppinger