Zwischen Heizung und Fensterbrett

■ Tausende Berliner StudentInnen suchen zu Semesterbeginn wieder Zimmer/ Politische Konzepte reagieren nur auf einen seit Jahren unverändert schlechten Zustand/ Ost-Berlin ist für die meisten noch uninteressant/ Notquartiere bleiben leer

Berlin. Ein ganz normaler Fall: Vor zweieinhalb Jahren nach Berlin gekommen, erst in den Wohnungen von Freunden gewohnt, dann sieben Monate lang gesucht. In dieser Zeit viermal umgezogen. Im April endlich fand Sebastian Meyer (FU) eine kleine billige Wohnung in Tempelhof. Damit ist er besser dran als viele seiner Kommilitonen.

Es ist wieder Herbst. Das heißt Semesterbeginn, und man erinnert sich wieder an die StudentInnen in dieser Stadt, die eine Wohnung oder ein Zimmer suchen. Über 5.000 StudentInnen wurden allein an der FU immatrikuliert, 1.300 an der Technischen Fachhochschule und einige tausend an den anderen Hochschulen Berlins. Mindestens die Hälfte von ihnen kommt von außerhalb und ist schon deshalb auf ein Zimmer angewiesen. Und diese sind bekanntermaßen äußerst knapp. Auch das ist inzwischen ganz normal.

Die 500 freigewordenen Wohnheimplätze sind längst vergeben, wie der Geschäftsführer des Studentenwerks, Fink, sagt. Das mühselige Abklappern der Zimmervermittlungen beginnt. Doch Studenten haben auf dem freien Wohnungsmarkt kaum eine Chance. Die Vermieter, da unterscheiden sich private und städtische Wohnungsbaugesellschaften nicht mehr groß voneinander, prüfen die Studis auf ihre Seriosität, ihre Bonität und nach sonstigem Wohlgefallen, wie der Vorsitzende des Berliner Mietervereins, Wild, beklagt. Hier müssen senatsübergreifende Lösungen gefunden werden, da die Studenten wie viele andere soziale Gruppen zu den Benachteiligten auf dem Wohnungsmarkt gehören. Aber, so Wild, er kann nur einen Mangel an politischen Konzepten sehen, die noch dazu den Vorstellungen der Studenten in keiner Weise gerecht werden.

Damit griff er die Konzepte der Wissenschaftssenatorin Riedmüller an. Mit ihrem studentisches Wohnprogramm, daß die Senatorin vorgestern auf einer Veranstaltung in der TU vorlegte, will sie 5.000 neue Plätze bis 1993 schaffen. Doch alle Projekte stehen bisher nur auf dem Papier. Der einzige Erfolg ist die ehemalige Ungersche Privatklinik, in der 33 Studierende ein Bett gefunden haben. 72 sollen nach Abschluß des Ausbaus hinzukommen. Daß bei diesen Erfolgsmeldungen manchem Studenten der Kragen platzt, ist verständlich. Stehen doch den lächerlichen 5.000 geplanten Plätzen 75.000 Studis, die Hälfte aller Studierenden im Westteil, gegenüber, die nicht zwischen Fensterbrett und Heizung bei Freunden kampieren wollen.

Viel erwartet sich die Senatorin von den freigewordenen Kasernen. In Ost-Berlin ist der erste Versuch bislang gescheitert, weil in der Friedrich-Engels-Kaserne die Heizung herausgerissen wurde. Außerdem hat erst einmal der Bund seine Hand auf den Kasernen. Was der dem Land Berlin überläßt, ist noch völlig unklar. Auf wenig Interesse stießen bisher die Ostberliner Notquartiere. In Lichtenberg wohnen nur noch drei Leute, und auch die ziehen bald wieder aus, da hier demnächst renoviert wird. Insgesamt hätten sich gerade mal neun Interessenten gemeldet, erzählt Barbara Schumann, die die 30 Plätze verwaltet. In Biesdorf meldeten sich höchstens ein, zwei StudentInnen am Tag. Viele Studis ziehen es doch vor, bei Bekannten unterzuschlüpfen, als sich auf diese Übergangslösungen einzulassen. »Die Politik reagiert nur, anstatt zu agieren«, wirft Ingo Kogmann vom Asta der Senatorin vor. Die Situation hat sich kaum verändert. Seit Jahren wird an diesen Notlösungen gebastelt.

Ost-Berlin ist jetzt die große Hoffnung der SPD-Senatorin Riedmüller. Hier, glaubt sie, ließen sich noch Grundstücke und Objekte fürs studentische Wohnen finden. Doch vorher müßten die existierenden Wohnheime instand gesetzt werden, weil sie in einem katastrophalen Zustand sind. Woher das Geld dafür kommen soll, wenn schon für Westberliner Projekte nicht genug da ist, beantwortet die Senatorin ganz einfach: Für den Ostteil der Stadt wird zusätzliches Geld fließen. Aber allein die Erhaltung der Wohnsubstanz kostet nach vorsichtigen Schätzungen eine dreistellige Millionensumme.

Die wenigsten StudentInnen erwarten hier noch etwas. Für sie ist klar, sie können nur sich selbst helfen. Das ist doch alles ganz normal. Anja Baum