Luxemburgs allertriumphalste Niederlage

Qualifikation zur Fußball-EM 92: Weltmeister Deutschland blamiert sich trotz eines glücklichen 3:2 in Luxemburg  ■ Aus Luxemburg B. Müllender

Wie da zum Beispiel der torhütende Elektriker jauchzte. Oder der vorstoppende Krankenbruder, der Rudi Völler zuvor gar nicht so pfleglich behandelt hatte. Oder der vorher leidenschaftlich grätschende Versicherungsangestellte ausgelassen den verteidigenden Mathe-Studienrat naßspritzte. In der Kabine der Großherzogtümlichen jubeln Mannschaftskapitän Carlo Weis, sonst Pizza-Bäcker in der Hauptstadt Luxemburg, und seine Freunde aus Handel und Verwaltung und geben mit strahlenden Augen Interview nach Interview. Ein tolles Spiel. Welch ein Erfolg. Unfaßbar. Luxemburgs Freizeitfußballer hatten, um mit Helmut Kohls einstiger Erkenntnis nach einer CDU-Wahlschlappe zu reden, eine triumphale Niederlage errungen. Nur 2:3 gegen den Weltmeister, und leicht hätte es mehr sein können.

Patrick Morocutti, einen der Youngster, störte es nicht, daß er, der Bankangestellte, nur auf der Bank gesessen hatte: „Die schönste Niederlage meiner Karriere.“ Gerard Jeitz, Parkhauswächter, war in der Schlußphase mit drei Ballberührungen, immerhin, dabei: „Selten so toll verloren.“ Jean-Paul Girres, während der Woche mal an der Kasse, mal am Computer der Gemeindeverwaltung von Beggen, war glücklich und traurig. „Wir ärgern uns auch ein bißchen“, sagte er, der Ausgleich war schließlich mehrfach möglich. Girres Treffer zum 1:3 war im 49. Auswahlspiel sein erstes Länderspieltor. „Einfach den Fuß locker hinhalten und über den Torwart heben, so leicht schießt man ein Tor gegen den Weltmeister, hätte ich nicht gedacht.“ Robby Langers, einer der drei Profis im luxemburgischen Team (stürmt für den OGC Nizza), wehrte die Lobkaskaden für sein tolles Spiel gegen Jürgen Kohler ab. „So einen habe ich in Frankreich doch jeden Samstag auf den Füßen stehen. Der ist doch kein Gott, nur weil er Weltmeister ist.“ Auch der 30jährige Profi, vor Jahren in Gladbach nicht für tauglich befunden, bekundete „die tollste Niederlage, die sich immer wieder vorzeigen lassen wird“, miterlebt zu haben.

Berti Vogts, des DFB oberster Fußballehrer, muß das siegreiche Debakel vorher geahnt haben. Mit verschränkten Armen stand er bei den Aufwärmübungen der Seinen weitab vom Geschehen in der entlegenen Stadionkurve. „Von hier habe ich den besseren Überblick, ob einer nicht richtig mitmacht“, begründete er seine Mannschaftsferne und kam nicht mehr zur Antwort, ob er schon einen Nachlässigen in seiner Startruppe ausgemacht hatte. Da begann nämlich die Randale der Weltmeister-Schreihälse, hunderte Bierflaschen flogen durch die Kurve, Dutzende Leuchtgranaten, und ließen den kleinen Mann um seine Unversehrtheit fürchten und flüchten. Später stürzte der besoffene Fußball- Pröll eine komplette Imbißbude in die Tiefe.

Luxemburgs Amateurkicker hatten von Anfang an gut mitgespielt, nicht etwa nur in der zweiten Hälfte der zweiten Halbzeit, wie die DFB- Garde es nachher darzustellen versuchte, als, so die Sprechblase Matthäus, „nach der klaren Führung Denkfehler im Kopf“ aufgetreten seien. Da waren während des ganzen Spiels auch reichlich Fußfehler in den Füßen. Ohne Foul, ohne Befreiungsschlag, ohne Verzögerung räumten Luxemburgs leidenschaftliche Kämpfer hinten auf, nur zweimal fehlte die rechte Sorgfalt in der Aktion nach der Aktion. Brehmes Freistoß war schon abgewehrt, als Klinsmanns Denkkopf des schwachen Häßlers mißglückten Schuß ebenso glücklich wie abgebrüht ins Tor abfälschte (17.). Und Uwe Beins abseitsliegende Fußspitze tüpfelte einen Völler-Nachschuß ins leere Tor (29.). Als Völler nach dem Wechsel schnell das dritte Tor geschlenzt hatte, schien es so, als würde Strunzens Dienst nach Vorschrift reichen, und Häßlers Faulheit, Binzens Lässigkeit und Bertholds bekannt-gemächliche Lustlosigkeit. Doch Girres 1:3 schon ließ die Massen in der ausverkauften Arena toben, und als Langers Schrägschuß unter dem wie ein Sack fallenden Illgner hindurch traf, war das Volk von Luxemburg endgültig der Verzückung nahe. Die Ehrentribüne klatscht Stakkato. „Nur noch zwei“, jubeln sie.

„Komm, Icke, komm“, ruft Berti verzweifelt. Kopfschütteln. Die Augenbrauen hoch, tief durchatmen. Blicke zur Uhr. Springt vor, fällt fast über ein Fernsehkabel. „Los, Thomas“, versucht er es. Gleich wird er Herr Häßler sagen, und um mehr Einsatzfreude betteln. Hohngelächter für den nächsten weltmeisterlichen Fehlpaß. Endlich Schluß. Bertis verquetschtes Gesicht, als der Sieg feststeht und die Verlierer vor Freude übers Feld hüpfen.

Vogts hernach: „Wir haben zwei Punkte glücklich erkämpft. Von der leichtfertigen Einstellung der Spieler bin ich sehr enttäuscht, das war eines Weltmeisters nicht würdig.“ Häßler, einer der leichtfertigsten und unwürdigsten, sah sich unschuldig: „Nach den zwei Nüssen müßte mal einer die Abwehr zusammenscheißen. Aber das tut ja keiner.“

Luxemburg: van Rijswijck — Petry — Malget, Bossi, Birsens, Groff, Girres, Weis, Hellers, Saibene (ab 85. Jeitz), Langers.

Deutschland: Illgner — Binz — Berthold, Kohler, Strunz, Häßler, Matthäus, Bein (ab 72. K. Reinhardt), Brehme, Klinsmann, Völler.

Tore: 0:1 Klinsmann (16.), 0:2 Bein (30.), 0:3 Völler (49.), 1:2 Girres (57.), 2:3 Langers (65.).