: Der rasante Einsturz des Börsenpapier-Hauses Polly Peck
Als der Bilderbuchkapitalist Asil Nadir sich das Vertrauen der Banken verscherzte, klappte sein Imperium wie ein Kartenhaus in sich zusammen ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren
Der smarte Zypriote mit den verführerischen Augen war ein Mann von Welt. Zu seinem Lebensstil gehörte ein Dinner bei ihrer Hoheit Queen Elisabeth ebenso wie ein Cocktail mit dem türkischen Staatspräsidenten Turgut Özal. Voller Ehrfurcht blickte die internationale Finanzwelt blickte auf den 47jährigen Asil Nadir, die Wirtschaftsjournalisten überboten sich darin, Lobpreisungen abzufassen, und Politiker rühmten die Weisheit des Bilderbuchkapitalisten. „Asil Nadir ist ein tapferer Unternehmer und ein guter Patriot“, lobte ihn einst der türkische Staatsminister Mehmet Yazar. Der britische Kolonialismus, der jahrhundertelang die Mittelmeerinsel Zypern beherrschte, brachte Griechen wie Türken die kapitalistische Ethik bei und erschuf einen neuen Erfolgsmenschentypus: gefühlsarm, berechnend und geschäftstüchtig. Nadir war einer der Starunternehmer, die in den achtziger Jahren auf die liberale Exportökonomie setzten.
In Hongkong besitzt er Textilholdings, in der Schweiz eine Computerfirma, in Uruguay Zitrusplantagen, in den USA und Panama sind seine Elektronik- und Nahrungsmittelfirmen im Geschäft, und in der Türkei gehören ihm 30 Prozent des Medienmarktes. Polly Peck International mit Asil Nadir als Hauptaktionär und Präsident an der Spitze war eine Goldgrube. „Jene Aktionäre, die von Anfang an beteiligt gewesen sind, sahen sich mit Kursgewinnen von bis zu 1.300 Prozent belohnt“, notierte die 'Neue Zürcher Zeitung‘. 1989 wies der Konzern mit rund 70 Firmen in 19 Ländern einen Umsatz von einer Milliarde Pfund und einen Gewinn von 161 Millionen Pfund auf. Nadir scheffelte Kapital. In Handumdrehen kaufte er die Mehrheit der Aktien der japanischen Konsumelektronikfirma Sansui, und ohne mit der Wimper zu zucken blätterte er letztes Jahr 557 Millionen Dollar hin, um die US-amerikanische Del Monte Fresh Fruit Company aufzukaufen, den weltgrößten Ananasproduzenten, der auch im Bananen-Deal führend ist.
Nun ist alles aus. Nadis Imperium krachte in einer der größten Pleiten der Nachkriegsgeschichte zusammen — es war ein Ende mit Schrecken. Die Banken drehten ihren Kredithahn zu, und Polly Peck stand mit seinen Schulden alleine da. Etwa 60 internationale Banken sind die Gläubiger, und Polly-Peck-Aktien sind nichts mehr wert. Die National Bank of Canada beantragte die Liquidation, um an ihre Kohle heranzukommen, und die Londoner Börsenfirma Barclays de Zoete Wedd hat Konkursantrag gestellt. Um das Unternehmen vor dem Zugriff der Gläubiger zu schützen, beantragte Nadir daraufhin die gerichtliche Verwaltung von Polly Peck. Seit letzter Woche führen nun Zwangsverwalter die Geschäfte des Konzerns und versuchen, die Gläubiger zu befriedigen. Die britischen Zoll- und Steuerbehörden ermitteln gegen Polly Peck ebenso wie das für Wirtschaftskriminalität zuständige Dezernat für schwere Betrugsfälle (SFO — Serious Fraud Office).
Ausgelöst wurde der Zusammenbruch durch einen rasanten Vertrauensverlust des Unternehmens. Nadir, dem 30 Prozent der Aktien gehörten, hatte angekündigt, Polly Peck ganz aufzukaufen. Die Aktien stiegen. Fünf Tage später ließ Nadir mitteilen, er habe es sich wieder anders überlegt. In britischen Zeitungen war daraufhin von Briefkastenfirmen Nadirs die Rede, die mit Insiderinformationen Aktientransaktionen vornehmen und den Markt manipulieren. Inzwischen ist bekannt, daß wenige Tage vor dem Übernahmeangebot eine Schweizer Investmentgesellschaft beträchtliche Aktienanteile aufgekauft und nach wenigen Tagen mit hohem Gewinn wieder verkauft hat. Der Verdacht lag nahe, daß Nadir den Kurs manipuliert hat. Daraufhin rückte das Dezernat für Wirtschaftsbetrug SFO am 19. September zu einer Razzia an bei der South Audley Management, einer Londoner Gesellschaft, die Nadirs Interessen in Großbritannien vertrat, und bat Nadir zum Verhör. Die Nachricht über die Durchsuchung verbreitete sich in Windeseile, und der Börsenwert von Polly Peck, der Anfang des Jahres noch bei zwei Milliarden Pfund lag, fiel binnen weniger Stunden um 560 Millionen Pfund. Die Banken stießen ihre Aktien so schnell wie möglich ab: 36 Millionen Aktien wurden verkauft, sieben Prozent des Londoner Handelsvolumens. Der Aktienkurs an der Londoner Börse, der im August noch bei 450 Pence lag, fiel auf 108 Pence, und der Handel mit Polly- Peck-Aktien wurde ausgesetzt.
Plötzlich wurde offenbar, daß Polly Peck ein Koloß auf tönernen Füßen war. Alles mögliche war habgierig mit Bankkrediten aufgekauft worden. Als Sicherheit hatten die Banken oft nur Polly-Peck-Aktien. Als nun der Kredithahn zugedreht wurde und die Banken ihre Aktien veräußerten, fiel das Kartenhaus in sich zusammen.
Heute, in den Stunden der Not, zahlt sich aus, daß der Türkisch-Zypriote Nadir, der sich der türkischen Sprache nur in Form von aneinandergereihten Anglizismen bedient, ein vaterländisches Hinterland hat, wo er ganze Horden von Journalisten, Exgenerälen und Geheimdienstlern aufkaufte.
Der Polizeipräsident der Junta- Ära Fahri Görgülü, der ehemalige Izmirer Polizeichef Alpaslan Aslan, der ehemalige Chef der türkischen Seestreitkräfte und Erkan Gürvit, Schwiegersohn des Putschisten Evren und schillernde Figur des türkischen Geheimdienstes MIT — sie alle stehen auf der Lohnliste in Nadirs Imperium.
Nun zahlt es sich aus, daß Nadir binnen weniger Jahre drei Tageszeitungen und 14 Zeitschriften in der Türkei aufkaufte. Von bösen Intrigen der Griechen, von einer internationalen Verschwörung gegen die türkisch-zypriotische Sache ist die Rede. Des Bananenkönigs Zeitung 'Günes‘ legt sich für Nadir — „unser Stolz auf dem internationalen Parkett“ — ins Zeug: „Nie und nimmer werden wir die Kapitulation hinnehmen.“ Als türkische Tageszeitungen mal über die dunklen Machenchaften des Asil Nadir berichteten, wurde ihnen mit einer Prozeßflut der Garaus gemacht — so der Zeitschrift '2000e Dogru‘, die es wagte, ein Interview mit dem Nadirs Exfahrer, Recep Nevzat, abzudrucken, der über die Drogendeals der Nadir-Family auspackte.
Last not least gibt es in den Stunden der Not die „Türkische Republik Nordzypern“. Der Präsident, Rauf Denktas, ist ein Duzfreund von Nadir. Nach der Besetzung des Nordteils der Insel durch türkische Truppen im Jahr 1974 hat sich Nadir alles unter den Nagel gerissen, was die in den Südteil flüchtenden Griechen hinterlassen haben — Zitrusplantagen, Textilfabriken, Hotels, die vom Staat der Nadir-Family zugewiesen wurden. Auf Wink des Bananenkönigs werden Gesetze und Regierungsbeschlüsse auf dieser Inselrepublik erlassen. Völlig unerklärlich war zum Beispiel, warum vor wenigen Jahren urplötzlich die Importbeschränkung für Essigsäureanhydrit aufgehoben wurde: Eigentlich benötigt man diese chemische Substanz, um aus Opium Heroin zu produzieren. Möge die 'Financial Times‘ heute Nadir zum Bankrotteur erklären, in Nordzypern — dort wo die profitabelsten Betriebseinheiten des Imperiums liegen — herrscht ungebrochen Nadir.
Der Präsident von Nordzypern, Denktas, sprach von einer „Verschwörung der griechischen Zyprioten gegen Nadir“. Als der britische Zwangsverwalter der Polly Peck nach Nordzypern reisen wollte, bekam er es zu spüren: Ihm wurde die Einsicht in die Bücher verweigert. Denn dort — wie könnte es anders sein — herrscht die Lex Nadir.
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