Geheimer Nato-Dienst auch in Deutschland?

Nach Italiens Ministerpräsident Andreotti bestätigt auch der griechische Ex-Regierungschef Papandreu die Existenz eines Nato-Geheimdienstes/ „Parallele“ Arbeit zu nationalen Geheimdiensten/ Bestandteil geheimer Zusatzabkommen  ■ Aus Rom Werner Raith

Die Frage klang eigentlich nur höflich interessiert: Wie es denn nun so weiterginge mit dem Fall Moro, wollten deutsche Delegationsteilnehmer am Rande des EG-Sondergipfels am vergangenen Wochenende in Rom wissen; das sei ja eine ganz und gar unverständliche Geschichte, daß zwölf Jahre nach der Entführung und Ermordung des christdemokratischen Politikers ein paar hundert zufällig aufgefundene Dokumente aus dem „Volksgefängnis“ der Roten Brigaden ein regelrechtes politisches Erdbeben auslösen könnten.

Die Italiener freilich kennen ihre Pappenheimer und wissen „interessierte Fragen“ richtig einzuordnen. So wußten sie auch, daß die Deutschen zwar „Moro“ sagten, aber „Nato“ meinten: Ein paar Sätze in den vor zwei Wochen in Mailand angeblich zufällig aufgefundenen Briefen, Aufzeichnungen und „Verhör“- Abschriften Moros aus dem „Volksgefängnis“ der Roten Brigaden hatten ein politisches Erdbeben ausgelöst, das weit über Italien hinausgehen könnte. „Muffensausen“ beobachteten denn auch die Beamten des Außenministeriums beim Gipfel bei den Nachfragern aus verschiedenen Ländern, als sie ihnen erklärten, daß weitere Enthüllungen nicht auszuschließen seien, von denen allerhand befürchtet werden müsse.

Zu Recht möglicherweise: Schon in den wenigen jetzt bekannten Stellen hatte Moro die Existenz bisher unbekannter „Antiguerilla-Aktivitäten“ der Nato angesprochen. Er schrieb von versteckten und auch den nationalen Aufsichtsgremien und sogar den dortigen Geheimdiensten verborgenen Ausbildungscamps, von unbürokratischen Kollaborationen der einzelnen Staaten vorbei an den nationalen Souveränitätsrechten, sogar vorbei an der offiziellen Nato-Kommandantur, die sich „im Ernstfall als zu unbeweglich erweisen könnte“. Soweit Moro in seiner Eigenschaft als Außenminister und Ministerpräsident, aber auch durch Gespräche mit anderen Ressortleitern bekannt geworden, „experimentierte“ eine ganze Reihe der Verbündeten auf dem Feld der Guerilla — „sowohl in der Form eines Partisanenkampfes bei einer möglichen Besetzung von Nato-Staaten durch die Sowjetunion, wie in der Form einer Abwehr möglicher Guerilla-Aktionen eingeschleuster sowjetischer Agenten“.

Daß es sich dabei nicht um Hirngespinste Moros oder gar Fälschungen der Roten Brigaden handelte, wurde sehr schnell klar: Ministerpräsident Andreotti, der den brisanten, angeblich „zufälligen“ Fund der Dokumente wohl zu Recht als gesteuertes Manöver gegen seine Kandidatur für das Amt des Staatspräsidenten ansah, suchte dem Skandal noch zuvorzukommen und übergab völlig unvermittelt vorige Woche dem Parlament einen Bericht, in dem er ausdrücklich über Aktivitäten eines „parallelen“ Dienstes informierte, eben jener Nato-Struktur. Mit treuherzigem Blick erklärte er dabei, die Einrichtung sei „wohl nicht illegal“ gewesen, stünde ihre Errichtung doch in einem geheimen Zusatzvertrag zum Beitritt Italiens zur Nato (1949), ein Zusatz, den damals alle Kriegsverlierer und danach alle Neuen in der Allianz akzeptieren mußten. Außerdem sei dieser „Intelligence Service“, der unter dem Decknamen „Organisation Gladio“ lief, schon 1970 aufgegeben worden. Kurze Zeit später schob er nach: Nein, nicht 1970, sondern erst 1972 sei die Sache beendet worden. Dann ließ er sich willig aus der Nase ziehen, daß das Monster noch „in den 80er Jahren aktiv“ gewesen sei. Schließlich kann er nun auch nicht mehr ausschließen, daß die Wühlmäuse noch heute im Dienst sind. Daß er das fast bereitwillig zugab, hatte aber einen präzisen Grund: „Alle Ministerpräsidenten der Nachkriegszeit“, erklärte er besonders laut, „waren von der Existenz dieses Paralleldienstes informiert.“

Innenpolitisch hatte er damit alle wichtigen politischen Gegenspieler und insbesondere sämtliche Rivalen beim Run aufs Präsidentenamt am Wickel: den derzeitigen Amtsinhaber Francesco Cossiga (Regierungschef 1978 bis 1979) z.B., der zwar nicht mehr kandidieren, aber mit seinem Prestige Andreotti blockieren möchte, aber auch Sozialistenchef Bettino Craxi (1983 bis 1987), der ihm derzeit mächtig zusetzt und auf Neuwahlen zusteuert. Vor allem aber gerät Senatspräsident Giovanni Spadolini in Schwierigkeiten: Er war von Moro mit der Verwaltung seines Nachlasses betraut worden und hatte damit einen derart großen Ansehenszuwachs erlebt, daß verschiedene Eingeweihte wie etwa Finanzminister Formica (langjähriges Mitglied des Geheimdienstüberwachungsausschusses) den „Fund“ der Moro- Akten als Werk des israelischen Geheimdienstes Mossad ansahen: Damit könnte der einzige israelfreundliche Politiker von Rang ins höchste Staatsamt gehievt werden. Nach Andreottis Gegenschlag muß nun auch Spadolini erklären, wie er's während seiner zwei Jahre Amtszeit (1982 bis 1983) mit der Nato-Seilschaft gehalten hat, die nach nicht dementierten Berichten großer Nachrichtenmagazine wie 'L'Espresso‘ und 'Panorama‘ vor allem Neofaschisten und Mitglieder rechtextremistischer, ja rechtsterroristischer Gruppen rekrutiert und riesige Waffen- und Munitionsverstecke angelegt hatte.

Doch die „Enthüllungen“ Andreottis über „Gladio“ werden von den gewiefteren Deutern seiner Aktivitäten auch außenpolitisch gewertet: als ein „klassisches Avvertimento“, eine Warnung an die Verbündeten, ihn ja nicht fallen zu lassen, er wisse genug, auch bei ihnen allerhand Wirbel zu erzeugen.

Zumindest einer hat das sehr schnell begriffen und sofort reagiert: Der ehemalige griechische Ministerpräsident Papandreu hat, nachdem die derzeitige Regierung zunächst dementiert hatte, in einem Interview mit der Oppositionszeitung 'Ta Nea‘ die Existenz einer exakt der Organisation „Gladio“ entsprechenden Struktur namens „Haut des roten Berges“ bestätigt, die er bei Amtsantritt 1984 vorgefunden und die sich trotz seiner Auflösungsanordnung noch bis 1984 erhalten habe. Und auch Papandreu verwies darauf, daß die der nationalen Souveränität entzogene Einrichtung auf einem Geheimabkommen beruht, das neu hinzukommende Nato-Mitglieder unterzeichnen und damit einen Blankoscheck für die Aktivitäten der dunklen Seilschaft geben mußten.

Griechenland ist der Nato 1952 beigetreten, die Bundesrepublik 1955. Die Nervosität der Frager in Rom ist also verständlich.