„Das ist eine verfehlte und interessengeleitete Auslegung des Grundgesetzes“

■ Heide Pfarr, Professorin für Arbeitsrecht und Berliner Senatorin für Bundesangelegenheiten, zur Ablehnung der Quotenregelung durch das Oberverwaltungsgericht Münster INTERVIEW

Die Auseinandersetzung um die Quotierung spitzt sich zu. Wie berichtet, hält das Oberverwaltungsgericht Münster die Quotenregelung im 1989 verabschiedeten nordrhein-westfälischen Frauenförderungsgesetz (FFG) für den öffentlichen Dienst für verfassungswidrig und schickte am Mittwoch das Gesetz zur Überprüfung nach Karlsruhe. Die Begründung der Münsteraner Richter: Die Bevorzugung der Frauen verstoße gegen das Beamten-Rahmengesetz des Bundes und den Artikel 33 Grundgesetz, wonach der Zugang zum öffentlichen Dienst nach Eignung, Leistung und Befähigung unabhängig vom Geschlecht gewährleistet sein müsse. Das FFG sieht vor, daß bei Einstellung und Beförderung von Beamten Frauen bei gleicher Qualifikation grundsätzlich zu bevorzugen sind, wenn im Amt weniger Frauen als Männer beschäftigt sind.

taz: Das Frauenförderungsgesetz aus NRW soll wegen seiner Quotenregelung zur Überpüfung vor das BVG. Wie wird Karlsruhe entscheiden?

Heide Pfarr: Nach meiner Überzeugung ist das Förderungsgsetz keinesfalls verfassungswidrig. Aber wir bewegen uns hier auf einem Gebiet, auf dem vieles in Bewegung ist. Wenn ich nach dem Gutachten des ehemaligen Präsidenten des Verfassungsgerichts, Ernst Benda, gehe, ist das verfassungsgemäß. Aber damit kann ich keine Voraussage treffen, wie Karlsruhe entscheiden wird.

Die Richter in Münster berufen sich in ihrer Entscheidung auf Artikel 33 des Grundgesetzes. Danach soll der Zugang zum öffentlichen Dienst strikt nach Eignung, Leistung und Befähigung gehen. Wie stichhaltig ist diese Argumentation?

Ich halte das für außerdordentlich schwach: Der Artikel 33 erfährt bereits heute unter dem Gesichtspunkt des Sozialstaatprinzips einige Ausnahmen. Etwa zugunsten von Gruppen wie Heimkehrern, Behinderten, Soldaten. Diese Gruppen dürfen bevorzugt werden, und das ist nie angegriffen worden. Bei den Frauen aber geht es nicht nur um die Erfüllung des Sozialstaatspinzips. Hier geht es um die Erfüllung des Verfassungsauftrags in Artikel 3 Absatz 2, in dem es heißt: Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Also ein sehr viel stärkeres Recht soll nun nicht im Stande sein, das Leistungsprinzip bedingt und befristet einzuschränken. Ich halte das für eine völlig verfehlte Auslegung des Grundgesetzes, die ich auch nur als interessengeleitet begreifen kann.

Gibt es andere Mittel als die Quote, um die strukturelle Diskriminierung von Frauen abzubauen?

Die Quote allein reicht nie. Aber ich kenne kein wirksameres Mittel. Wegen der Frage der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die Grundrechte der Männer habe ich in einer Untersuchung ausdrücklich danach gefragt: gibt es andere Mittel, die Gleichstellung der Frauen im öffentlichen Dienst herbeiführen? Wir konnten, auch mit Zahlen, nachweisen, daß es solche Mittel nicht gibt. Alles andere bleibt in Appellen verhaftet. Und selbst das Gesetz in NRW ist nicht effektiv genug. So hat das Abstellen auf die Qualifikation, und das habe ich als Vizepräsidenten der Universität in Hamburg selbst erlebt, vielfältig zur Folge, daß die Qualifikation von Frauen herabgesetzt wird. Zu dem konkreten Fall aus NRW hieß es, daß der Bewerber ohne die Quote wegen seines Dienstalters hätte befördert werden sollen. Schon da ist zu fragen: Warum hatten denn die betroffenen Frauen ein niedrigeres Dienstalter? Waren sie möglicherweise genauso alt und hatten Familienpflichten? Diese Entscheidung halte ich für diskriminierend und damit für verfassungswidrig.

Was halten Sie von einer Verfassungsänderung?

Ich halte diese Diskussion für sehr wichtig. Wir müssen die Verfassungsdebatte nicht nur deshalb führen, weil ich es für unsinnig halte, daß im geeinten Deutschland das Grundgesetz „klammheimlich“ übernommen wird.

Es ist auch Zeit, mehr Frauenrechte in der Verfassung zu verankern. Dazu gehört die Klarstellung, daß aktives Tun zugunsten der Gleichstellung der Frau dem Staat aufgetragen wird. Ich würde dabei nicht unbedingt die Quote hineinschreiben, weil sie nur das Mittel ist. Aber die Verplichtung zu aktivem Tun hätte ich sehr gern in Artikel 3, Absatz 2 drin.

Interview: Helga Lukoschat