taz-Samstags-Gastkolumne: Wider das Prokrustes-Bett

■ Die Universität ist kein Nimmersatt, aber sie braucht eine solide Ausstattung / Von Christian Marzahn

Der Prokrustes der griechischen Sage war ein grausamer Gastgeber. Wanderer, die bei ihm einkehrten. legte er in zu große oder zu kleine Betten und paßte sie gewaltsam seinen Vorgaben an. Sie starben.

Ist der Senat der Freien Hansestadt Bremen ein moderner Prokrustes? Vielleicht kein grausamer, sondern eher ein unkundiger?

Ich lasse dahingestellt, ob er irgendwo zu große Betten bereitet. Aber daß die Bremer Betten in wichtigen Bereichen zu klein sind, ist unverkennbar. Wenn die Universität darauf hinweist, daß ihr Bett entschieden zu klein ist und sein wird, braucht sie den Vorwurf der Unersättlichkeit nicht zu fürchten: Unter großen Anstrengungen und nicht ohne Opfer hat sie in den letzten Jahren einen Hochschul-Entwicklungsplan erarbeitet, dessen Minimalausstattung den finanzpolitischen Vorgaben des Landes weitgehend folgte.

Mittlerweile aber ist es offenkundig, daß diese Vorgaben aus der Mitte der 80er Jahre schon heute zu eng sind und zu Verstümmelungen führen, wenn sie nicht revidiert werden:

Entgegen der Prognosen ist die Zahl der Studienbewerber nicht gesunken, sondern stark gestiegen. Ein Absinken der Bewerberzahlen ist auch für die nächsten Jahre nicht zu erwarten.

Bremen wird nach der gegewärtigen Planung seinen Soll-Anteil an Studienplätzen auch bis 1993 nur zu 72 Prozent realisieren und damit das Schlußlicht unter den Bundesländern sein.

Pro Kopf und Jahr geben Berlin 1.200 Mark, Hamburg 750 Mark, Bremen ganze 350 Mark für Hochschulen und Forschungseinrichtungen aus; mit 0,8 Prozent des Haushalts liegt Bremen unter den Bundesländern an vorletzter Stelle.

Bremen weist einen stark unterdurchschnittlichen Anteil an wissenschaflich qualifizierten Arbeitsschaften auf. Das ist kein Sparvorteil, sondern ein Entwicklungsnachteil.

Um die Universität aus ihrem Prokrustes-Bett zu befreien, bedarf es keines allgemeinen Goldregens, sondern einiger, präziser Maßnahmen:

Um nicht hoffnungslos hinter die Entwicklung in den anderen Bundesländern zurückzufallen, muß Bremen bis 1995 etwa 15.000 flächenbezogene Studienplätze realisieren.

Durch eine gezielte, keineswegs üppige Erweiterung des wissenschaftlichen Personals könnte die Universität ihr Konzept der Schwerpunktbildung in der Forschung und der Verbreiterung des Lehrangebots weiter verfolgen.

Aus persönlichen, institutionellen und altersstrukturellen Gründen muß der wissenschaftliche Nachwuchs stärker gefördert werden als bisher, wobei die Frauenförderung nicht nur eine wohlfeile Parole bleiben darf.

Eine Universität kann nicht innerhalb weniger Jahre ihre Studentenzahl verdoppeln, ihre Drittmittel verzehnfachen, ihre internationale Kooperation beträchtlich intensivieren, ohne daß die wissenschaftliche Infrastruktur mitwächst. Es ist keine unersättliche Anspruchshalttung, wenn die Studenten und Studentinnen in den Lehrveranstaltungen nicht auf dem Boden sitzen wollen, wenn die wissenschaftlichen Mitarbeiter/innen wenigstens einen eigenen Schreibtisch beanspruchen und wenn sich die Mitarbeiter/innen einen einigermaßen erträglichen Arbeitsalltag wünschen.

Wenn also die Universität ihre pragmatisch-nützliche und ihre nachdenklich-kritische Funktion für die Region und Gesellschaft wahrnehmen können soll, muß das Land einen entschlossenen Ausbauschritt vollziehen. Es kann wohl kein großer Sprung sein, muß es auch nicht, aber er muß eine solide Perspektive bieten. Nach meiner Überzeugung kann eine solche Perspektive nicht nur aus der weiteren Ansiedlung wissenschaftlicher Highlights bestehen — so notwendig eine Universität diese braucht. Aber wie die angewandte Forschung eine gute Grundlagenforschung und interdisziplinäre Arbeit qualifizierte Disziplinen erfordern, so können auch Highlights auf längere Sicht nicht gedeihen ohne einen soliden wissenschatlichen Alltag. Und gerade da zwickt, nein: beißt und schmerzt uns das Prokrustes-Bett am meisten.

Übrigens sind nicht alle Schwierigkeiten der Universität mit dem Schrei nach Geld zu lösen. Da gibt es auch noch selbstverantwortete Übelstände und mögliche Verbesserungen. Doch das steht auf einem anderen Blatt.

Christian Marzahn ist Konrektor der Universität Bremen