Von der Ruine zur Staatsbühne

■ Was wird aus dem Potsdamer Theaterneubau?

Eine ordentliche bundesrepublikanische Landeshauptstadt besitzt auch ein ordentliches sogenanntes Staatstheater: drei Sparten — Oper, Schauspiel, Ballett — plus Keller- und Probebühne plus postmoderne Dependancen in Straßenbahndepots und ehemals proletarischen Fabrikhallen. Darin schaltet und waltet abgottgleich ein möglichst teurer Intendant. Auf daß zu seinem eigenen höheren Ruhme und dem von Landesvätern und -volk sogenannte Hochkultur entstehe. Das wichtigste dabei aber sind die Subventionen. Unter zweistelligen Millionensummen läuft nichts, was wiederum alle, die nicht in solchen Tempeln mimen, tanzen, singen und inszenieren dürfen, in die Niederkultur der Hungerlöhne zwingt. Auch in Potsdam soll es nun ein solches Großunternehmen geben. Einen merkwürdig überdimensionierten Grundstein haben die ansonsten überhaupt nicht föderativen SED- Bonzen gelegt.

Unübersehbar ragen am Alten Markt zwei gewaltige Betonklötze schroff in den Himmel und verdecken den ebenso monumentalen Kuppelbau der Nikolaikirche fast ganz. Daraus sollte, nach einem Beschluß aus dem Jahr 1985, in DDR-sozialistischer Prunkbaumanier das neue Stadttheater der Potsdamer werden. Ein Schlag ins Gesicht der Barockstadt. Deren Einwohner haben unmittelbar nach der Wende den Bau des 670-Plätze-Ungetüms erst einmal gestoppt. »Hier ruht ein festlicher Theaterabend«, hat jemand weithin sichtbar auf die Riesenruine gepinselt.

Festliche Abende in einem schmucken Bühnenhaus will man aber dennoch — und als frischgebackene Landeshauptstadt braucht man sie schon aus Repräsentationsgründen. Mit dem derzeitigen Domizil des Stadttheaters — es trägt den Namen Hans-Otto-Theater, nach dem von den Nazis ermordeten kommunistischen Schauspieler — ist kein Staat zu machen. Gespielt wird in einem umgebauten Tanzlokal, dessen vermutete Asbestbestandteile den Inszenierungen einen unfreiwilligen Spezialeffekt verleihen.

Nach dem Beschluß der Stadt ist ein Umzug nun aber erst einmal wieder in weitere Ferne gerückt. Für den Weiterbau des Ende 1988 begonnenen Monumentalbaus finden sich kaum noch Befürworter, weshalb nun erneut ein Architekten- und Investorenwettbewerb ausgeschrieben werden soll und vor allem die Standortfrage noch einmal gestellt wird. Was die Betonruine anbelangt, setzt man auf die Potsdam-Sehnsucht von Großinvestoren. Der Alte Markt ist eine Spitzenlage, gibt Kulturstadträtin Hüneke zu bedenken. Wer bauen wolle, müsse dann eben für den Abriß des Theatermonsters sorgen. Immerhin liebäugelten Lufthansa und Kempinski bereits mit der ersten Adresse.

Die rund zwei Dutzend Teilnehmer am beliebten Intendantenkarussel im deutschsprachigen Raum können sich den Namen Potsdam trotz aller Bauprobleme und leeren Kassen dennoch schon einmal in ihren langjährigen Kalendern notieren. Denn dem Theaterleben in der 120.000- Einwohner-Stadt droht nicht das Schicksal ähnlicher Bühnen in gleich großen, verarmten DDR-Kommunen. Der Titel Landeshauptstadt wirkt wie ein Schutzschild. Selbstverwirklichungen durch fünfstündige Kleist-Weihespiele in Parkhäusern oder karge antike Tragödienzyklen von millionenschwerer Meisterhand wird es schon aus wirtschaftspolitischen Gründen geben müssen. Und ein Intendantenstuhl ist auch schon frei: Gero Hammer muß auf Beschluß von Kulturstadträtin, Magistrat und Stadtverordneten zusammen mit allen anderen Leitern der großen Kultureinrichtungen seinen Platz räumen. Potsdam will reinen Tisch machen und nur noch von demokratischen Gremien berufene Kulturchefs walten lassen (siehe Interview).

Zudem will man eine Landesträgerschaft für das Theater erreichen. »Vielleicht über eine gemeinsame GmbH«, meint Kulturstadträtin Hüneke, die davon ausgeht, daß es in Potsdam auch künftig Dreispartentheater geben muß. »Wir müssen das kulturelle Angebot der Stadt so entwickeln, daß die Touristen auch hier übernachten wollen«, sagt sie. Große Wagner-Inszenierungen müßten es aber dennoch nicht sein. Thomas Kuppinger