PUREN SOZIALISTISCHER FERIENIDYLLE

Wie der Durchschnitts-

„Ossi“ seinen Skiurlaub verbrachte

VONKATJAFISCHER

Mit leichtem Kribbeln im Bauch und ein bißchen Skepsis, ob sie denn auch heil ankommen mit der alten Schwebebahn, gelangen sommers wie winters Hunderte von Touristen auf die höchste Erhebung der ehemaligen DDR. Vom Fichtelberg aus genießen sie bei klarem Wetter den weiten Blick übers Erzgebirge, das Wintersportgebiet der Ostdeutschen. Hierher kam auf eigene Faust, wer es nicht lassen konnte und sich unbedingt einen Skiurlaub leisten wollte. Unter „Skiurlaub“ verstand der Durchschnitts-„Ossi“ nicht etwa den alpinen Skisport, dazu mußte er schon ein Stück weiter nach Polen, in die Tschechoslowakei oder nach Bulgarien reisen. Mit seinen vergleichsweise sanften Gipfeln bietet das Erzgebirge alles eine Nummer kleiner. Für Skilanglauf, Rodeln oder Wandern dagegen ist es bestens erschlossen. Nach langen, anspruchsvollen Abfahrtspisten sucht man vergeblich.

Trotzdem war das Erzgebirge begehrtes Urlaubsziel. Windgeschützte Lagen, die das teilweise verheerende Waldsterben überdauert haben, sind noch immer landschaftlich schön. Die meisten Leute kamen mit FDGB-Ferienscheck. Sie stiegen ab in Urlauberburgen, die mit ihrem nüchternen Hochhausstil historisch gewachsene Orte verschandeln. Der alles andere als verwöhnte Gewerkschafter war froh, überhaupt einmal in fünf, sechs Jahren zum Luxus eines solchen Billigurlaubs zu kommen. So fuhr er dann mit Kind und Weib, egal ob skikundig oder nicht, in den mehr oder weniger verschneiten Süden. Er hätte auch einen Platz an der gleichermaßen begehrten Ostsee genommen.

Heute hat der Fichtelberg seinen Status als „höchster Berg der Deutschen Demokratischen Republik“ eingebüßt. Deutschland ist eins, und damit rutschte auch die 1.214Meter-Erhebung einen Rang tiefer. Den Spitzenplatz hat nun die Zugspitze inne, und erzgebirgische Touristikmanager grübeln jetzt, wie sie den irgendwie Zweiten trotzdem gut vermarkten können. Zumal sich nun auch der sagenumwobene Brocken als Konkurrenz anmeldet, wo sich Goethes Walpurgisnachthexen und die Staatssicherheit tummelten.

Die DDR-Zeiten sind endgültig vorbei, und Werbung ist nötig. Von allein werden wohl die Urlauber nicht mehr in hellen Scharen zum Wintersport anreisen. Ehemalige DDR-Bürger verwenden ihr Gespartes lieber, um andere, sprichwörtliche Schneeparadiese kennenzulernen. Und die westdeutschen heißersehnten finanzkräftigen Touristen zügeln bislang ihre Neugierde. Jedenfalls lassen die Erfahrungen des Sommers darauf schließen. In den schönsten Gegenden des damals noch zweiten deutschen Staates wurde ihnen für ihr Geld wenig geboten. Die Quartiere spartanisch und teuer, das Freizeitangebot weit entfernt vom internationalen Niveau. Das sprach sich offenbar herum, und so kamen nur wenige.

Eine Reise ins Erzgebirge ist aber trotzdem ein guter Tip: Wer weiß, wie lange sie noch frisch sind, die Spuren sozialistischer Ferienidylle? Wer keinen übermäßigen Komfort sucht, aber wissen will, wie seine „Brüder und Schwestern“ im Osten lebten, der kann sich zum Beispiel in Oberwiesenthal in Bild davon machen. Der kleine Erzgebirgsort ist bekannt durch internationale Wettkämpfe wie die Vierschanzentournee jeweils zum Jahresbeginn. Private Gaststätten haben ihren Charme bewahrt und übrigens auch die Bewohner selbst.

Sie mühen sich redlich, um dem Weltruf ihres Ortes wenigstens halbwegs gerecht zu werden. Wer von oben einen Blick auf Oberwiesenthal wirft, kann ermessen, was das bedeutet: Ferienheime — die meisten gehörten dem FDGB, der Staatssicherheit und der NVA — nehmen sich wie Schuhkartons auf einer Modelleisenbahn-Platte aus. Über allem thront ein Neubaugebiet, ein verdeckt gelegenes Terrain war abgesperrt für die Grenzer. Am Rande der Stadt erstreckt sich die Müllkippe, die nun mehr und mehr von buntem Westabfall beherrscht wird. In sozialistischen Zeiten war Oberwiesenthal für den Massentourismus auserwählt worden. Bewohner typischer DDR-Satellitenstädte fühlten sich gleich heimisch im Funktionalbau „Ferienheim am Fichtelberg“, von 1973 bis 75 gebaut „als sichtbarer Ausdruck der planmäßigen Verwirklichung der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik sowie zur zielstrebigen Entwicklung des Feriendienstes der Gewerkschaften unserer Republik“. Das konnte der Glückspilz, der einen Ferienscheck für das Heim ergatterte, in einem Prospekt auf seinem Zimmer lesen. Für DDR-Verhältnisse bot das Haus hohen Komfort. In den kleinen Zimmern gab es Toilette und Dusche, Hallenbar, Restaurant und Café luden ein, für die Kinder war ein Spielzimmer da. Im Vergleich zu manchen Privatquartieren oder kleineren Ferienheimen, in die es viele FDGB- Urlauber verschlug, waren das traumhafte Zustände. Und traumhafte Preise: Für knapp 500 DDR- Mark konnte eine Familie hier zwei Wochen Urlaub machen — mit Vollpension.

Heute bestimmt nicht mehr der gewerkschaftliche Feriendienst, wer Gast im Hotel ist. Die Mitarbeiter bemühen sich nach Kräften, die Provinzialität abzustreifen. Doch sie können nicht viel ändern am Aussehen des Hauses, an Größe und Schnitt der Zimmer. Es weht noch der Hauch der Vergangenheit. Den Winterurlauber erwartet so auf alle Fälle Schnee von gestern. Mit frischem Pulverschnee kann er allerdings in einer Höhe von 911 Metern nicht immer rechnen.

Wenn die weiße Pracht ausfällt, dann ist genügend Gelegenheit, weitere Spuren der letzten 40 Jahre zu finden. Die durch das Wetter verhinderten Sportler trotten durch den Ort, der ohne Schnee nicht viel zu bieten hat. In diesem Jahr kann der gelangweilte Urlauber sich aber immerhin im ehemaligen Gästehaus der SED umsehen, das nun sein Inkognito gelüftet hat und mit Apartments im Wandlitz-Look um Gäste wirbt. Oder im Ferienheim der Stasi, das mit seiner solideren Ausstattung — es gibt sogar eine Schwimmhalle — den Ex-FDGB-Heimen Konkurrenz macht.

Nach der Herbstrevolution im vergangenen Jahr erhöhte sich die Anzahl der Betten sprunghaft, die nun der breiten Masse zugänglich sind. Nicht nur in Oberwiesenthal. In etwa 4- bis 5.000 Betten in ehemaligen Gästehäusern und Ferienheimen der herrschenden Parteien, Organisationen und Institutionen kann nun jeder x-beliebige Normalbürger schlafen. In ihrer Glanzzeit waren sie noch nicht einmal zu 50 Prozent ausgebucht. Ob das jetzt anders wird, darüber entscheiden allein die Gäste. Sie wollen etwas erleben für ihr Geld, nicht nur Bett, Sessel und Tisch im Zimmer und abends einen Film im Fernsehraum. Marktwirtschaft setzt sich auch in der Tourismusbranche durch, nicht ohne Probleme. Sowohl die Mitarbeiter in den Heimen als auch private Vermieter haben oft — mangels eigener Kenntnis der Welt — sehr ungenaue Vorstellungen davon, was einem Urlauber so geboten werden muß. Daher die überhöhten Preise bei mangelndem Komfort.

Nicht nur Unerfahrenheit erweist sich als Hemmnis, die Urlaubsorte schnell attraktiver zu machen. Die erschreckenden Folgen der „Wirtschafts- und Sozialpolitik“ der SED sind nicht in ein paar Wochen zu beheben. Sie führen zu dem paradoxen Phänomen, daß die Oberwiesenthaler die Urlauber sogar belastend finden, obwohl sie doch von ihnen leben. Aber zu verstehen ist das, denn das Umfeld des Ortes ist nicht für so viele Menschen eingerichtet. Die eine Kaufhalle hält dem Ansturm kaum stand. Als sie gebaut wurde, mußten fünf kleine Läden zumachen, es gab keinen Bäcker mehr und keinen Fleischer. Die Handvoll Geschäfte, die blieb, ist natürlich immer proppevoll, wenn 23- bis 45.000 Touristen pro Woche kommen.

So viele werden es wohl in diesem Winter nicht werden, aber es wird ihnen auf alle Fälle mehr geboten als zuvor. Die Erzgebirgler haben ihre Chance erkannt und kurbeln den Tourismus kräftig an. Die Richtung ist klar, die geht schon aus den Annalen hervor. 1935 versprach ein Prospekt: „Gut eingerichtete und geleitete Hotels und Privatpensionen nehmen Sie zu angemessenen Preisen auf, inmitten der betont friedlichen Waldgebirgsnatur sind Sie geschützt vor übermondänem Badebetrieb.“ Es warb mit der „Einfachheit und Biederkeit des Volksstammes“ und lockte die Urlauber mit Skiwanderungen, Schlittenfahrt und Eislauf. „Sie können sich unter gar keinen Umständen langweilen.“