Die Jazztrompeterin

Das Berliner Jazz-Festival eröffnete mit Spike Lees neuem Film „Mo'Better Blues“  ■ Von Thierry Chervel

She's gotta have it, Lees erster Film, war eine triumphale Setzung, eine Geschichte, die nur unter Schwarzen spielte, in einem Bohème-, Yuppie- und Intellektuellenmilieu, das sich von ähnlichen weißen Milieus kaum unterschied. Aber es war eine sozusagen geschlossen schwarze Welt, in der das Schwarzsein darum endlich selbstverständlich und frei war, wie losgelöst vom weißen Rassismus, der immer und notgedrungen gerade in den engagiertesten Filmen die Folie war, durch die Schwarze betrachtet wurden. Hier bedeutete Schwarzsein kein Problem, sondern, im hellen und nuancierten Schwarzweiß des Films, Kultur, Sophistication, Schönheit. Erotische Szenen zwischen Schwarzen hatte es bis dahin im amerikanischen Kino praktisch nicht gegeben. Die Kamera tastete die Körper ab und suchte das Schimmern auf der Haut, das Hellgrau und Schwarz, und von dieser überlegenen und begehrenswerten Schönheit waren die Weißen so selbstverständlich ausgeschlossen wie sonst die Schwarzen aus Hollywood-Filmen, wo sie höchstens mal aus einer Art gewerkschaftlichem Quotierungsdenken, ohne Ansehen der Person, eingesetzt werden. In She's gotta have it waren die Weißen gewissermaßen nur als Publikum zugelassen. Die Geschichte betraf sie nicht und ging sie eigentlich nichts an.

Do the Right Thing, Lees dritter Film (das Musical School Daze ist in Europa nie gelaufen), handelt im Gegensatz zum ersten direkt vom Rassenkonflikt. Anders als andere Filme zum Thema hatte er die Kraft, die Tiefe des Konflikts auszuloten und im prekären Schluß die Entscheidung zwischen Versöhnung und Gewalt, die vielleicht gar nicht möglich ist, offenzulassen. In den Abspann wurden zwei einander widersprechende Zitate von Martin Luther King und Malcolm X eingeblendet. Die Artikulation dieses Widerspruchs machte Do the Right Thing zu einem der wichtigsten politischen Filme der letzten Jahre, für Schwarze und für Weiße.

Mo'Better Blues endet mit einem Zitat von John Coltrane. Es verweist auf die Existenz eines lieben Gottes, dem vieles zu verdanken sei.

Weiße kommen in dem Film nur am Rande vor — die französische Freundin eines der Jazzmusiker, der puertoamerikanische Buchmacher und die beiden jüdischen Besitzer des Jazzclubs, die Lee in den USA den Vorwurf eines schwarzen Antisemitismus einbrachten. Tatsächlich beuten die beiden den Trompeter Bleek Gilliam und seine Band aus, sie bestehen auf dem unfairen Vertrag und denken nur ans Geld. Der Vorwurf ist trotzdem ungenau und also ungerecht.

Lee interessiert sich für die beiden Jazzclubbesitzer sowenig wie für alle anderen Weißen im Film. Die Weißen sind komische und lästige Randfiguren, die er allesamt loswerden will. Als eigentlich Verantwortlichen für den Knebelvertrag sieht er den schwarzen Manager der Band, Giant, den er selbst spielt. Giant war unfähig und nachlässig, er hat den Vertrag verpfuscht. Lee interessiert sich auch nicht für den Buchmacher, auf dessen Geheiß Giant und Bleek so brutal zusammengeschlagen werden, daß Giant fortan am Stock gehen muß und Bleek nicht mehr Trompete spielen kann. Was er anklagt: daß Schwarze sich verdingen, um für Weiße Schwarze zusammenzuschlagen.

Eher als von einem schwarzen Rassismus oder Antisemitismus könnte man von einer Art schwarzem Nationalismus sprechen — „black awareness“ würde Lee vielleicht sagen — mit allen Implikationen und Tendenzen, die so eine Ideologie in sich birgt, egal ob schwarz oder weiß. Der Film wendet sich an Schwarze — Weiße werden als Publikum in Kauf genommen und sind höchstens indirekt im Spiel. Er hat einen direkt appellativen, geradezu volkserzieherischen Charakter: würdigt den Jazz als originäre schwarze Kulturleistung und überlaßt ihn nicht den weißen Kennern in Europa, befaßt euch mit eurer eigenen Geschichte, schafft euch eure eigene Infrastruktur, laßt euch nicht gegeneinander ausspielen, übernehmt Verantwortung, übt Trompete, geht zur Schule, behandelt eure Frauen gut, seid treu, macht keine unehelichen Kinder mit 16jährigen Mädchen, sondern benutzt Kondome, gründet Familien, zeugt Söhne, nennt sie Miles und danket Gott.

Der Film selbst geht als Beispiel für einen geschlossenen und autonomen schwarzen Zusammenhang voran. Alles ist, wie immer bei Lee, von Schwarzen gemacht: Licht, Ton, Regie, Kamera, Kostüme, Maske, Musik. Lee hat den Film selbst produziert und beschafft sich Geld, indem er Werbespots dreht und seinen Namen auf T-Shirts und Baseball-Mützen vermarktet. Wie alle Lee-Filme trumpft auch Mo' Better Blues durch die Virtuosität der Mittel auf: die Eleganz und der Witz der Kameraführung, die Pointiertheit und Musikalität der Repliken, die sketchartige Verdichtung der Inszenierung. Wie Bleek seine beiden Freundinnen verliert — eine nach der anderen —, weil er im Bett ihre Namen verwechselt, ist hinreißend. Die zwei Szenen sind ineinander montiert. Die Kamera fährt an Clarkes Arm entlang, und Bleek flüstert „Indigo“, und Indigo fährt hoch und antwortet, sie sei nicht Clarke.

Aber die Setzung — die beispielhafte Vorführung einer selbstgenügsamen schwarzen Welt — ist längst nicht so triumphal wie in She's gotta have it, weil die Selbstverständlichkeit dahin ist. Es kostet Spike Lee sichtlich Kraft und künstlerische Kompromisse, die Fiktion hochzuhalten. Er ist fest zum Optimismus entschlossen, um den Preis grober Unwahrscheinlichkeiten — daher vielleicht der liebe Gott am Schluß. Man kann ja kritisieren, daß in anderen Filmen über das Thema der Jazz immer nur als Drogeninferno und die Musiker als seelische Wracks gezeigt werden, und nicht als die großen Künstler, die sie waren: Lees Version der Geschichte ist noch unwahrscheinlicher. Drogen kommen da gar nicht vor. Fast scheint es, als hätte das auf die Musik zurückgeschlagen. Sie ist so clean wie Lees künstlich drogenfreie Welt, mainstream, glatt, wenig improvisatorisch. Die Schauspieler haben für den Film eigens Instrumente gelernt und bedienen sie mit erstaunlicher Gewandtheit, aber eine geschichtliche Sprengkraft mag man der Musik, die dabei herauskommt und die weder von gestern, noch von heute ist, nicht zutrauen.

Der Familiengründungskitsch des Endes ist trotz ironisierender Inszenierung schwer zu ertragen. Bleek weiß nicht mehr weiter und erfleht Rettung von Indigo, bei der er sich ein Jahr lang nicht hat blicken lassen, und Indigo — eine attraktive Frau, die ein Jahr lang immer nur auf Bleek gewartet hat — rettet und heiratet ihn und schenkt ihm einen Sohn namens Miles, dem er das Trompetespielen beibringt. Eine Tochter wäre schon besser gewesen.

Spike Lee: „Mo' Better Blues“, Buch: Spike Lee, Kamera: Ernest Dickerson, Musik: Bill Lee u.v.a., mit Denzel Washington, Spike Lee, Joie Lee, Cynda Williams u.a., USA, ca. 120 Min.