Die Contras kehren zurück

Die Rückkehr der demobilisierten nicaraguanischen Contras ins zivile Leben ist mit zunehmenden Schwierigkeiten verbunden/ Die Regierung Chamorro hält sich nicht an die Zusage, ihnen Land zu geben/ Zwanzig sandinistische Kooperativen von landlosen Ex-Contras besetzt, um „Druck auszuüben“  ■ Aus Waslala Ralf Leonhard

Die Contras sind entwaffnet. Seit Ende Juni ist der Krieg in Nicaragua damit in aller Form beendet. Doch die Rückkehr Tausender von ehemaligen Kämpfern in das zivile Leben erfolgt nicht ohne Schwierigkeiten. Will die Regierung verhindern, daß die Demobilisierten sich zu marodierenden Banden zusammenschließen, muß sie zu ihrem Wort stehen und ihnen Land, Werkzeug und Baumaterial zur Verfügung stellen.

Rund 4.000 Contra-Familien, die noch auf Land warten, sind entschlossen, ihre Ansprüche notfalls auch mit Gewalt durchzusetzen. Funktionäre der Regierungskoalition nutzen die unzufriedene Stimmung unter den Ex-Contras, um sandinistische Strukturen in ihrem Machtbereich zu zerstören. Wilde Landbesetzungen und Konfrontationen zwischen Polizei und Besetzern haben in den vergangenen Wochen im Norden Nicaraguas bereits mehr als zehn Todesopfer gefordert.

Ex-Contras besetzen Genossenschaftsland

Als am 15. September die Sonne aufging, fanden die Bauern der Genossenschaft Zinica eine große Menschenmenge auf ihrem Gebiet vor. Über 800 Personen — in Zivil — hatten den Versammlungs- und Ladeplatz besetzt. Sie errichteten Barrikaden auf der Straße, die die Marktgemeinde Waslala mit der Minenstadt Siuna verbindet, und begannen dann die Wohnhäuser der Bauern zu durchwühlen. Die Besetzer mußten sich nicht vorstellen. Die Bauern wußten auch so, mit wem sie zu tun hatten: zwei Drittel waren Kämpfer aus den Reihen der Contras, die anderen hatten als Kollaborateure oder Boten Zubringerdienste geleistet. Dazu kamen einige Witwen und Waisen von gefallenen Kameraden, die nach der Demobilisierung bei der Truppe geblieben waren.

„Hier bleiben wir, bis wir genug Land bekommen“, erklärte der Anführer der Besetzer, der 25jährige Andres Ramon Mairena, alias Comandante Abener, der einst eine Task Force (Kompanie) der Contras befehligt hatte. Die knapp 150 Campesinos der Genossenschaft, die bereits im April ihre Waffen abgegeben hatten, kamen angesichts ihrer zahlenmäßigen Unterlegenheit gar nicht auf die Idee, Widerstand zu leisten, als die ungebetenen Gäste in ihre Häuser eindrangen. Die Ex-Contras fanden dabei noch die eine oder andere Schußwaffe, requirierten sie und ließen sich schließlich in der Scheune und ein paar umliegenden Holzbauten nieder. In den nur wenige Kilometer entfernten Kooperativen Puerto Viejo, El Naranjo und Arnold Quant spielten sich ähnliche Szenen ab.

Seit ihrer Entwaffnung am 6. Juni hatten die einstigen Freischärler darauf gewartet, daß die Regierung ihr Versprechen wahrmachen würde: Als Preis für die Demobilisierung hatte sich die Regierung nämlich bereit erklärt, ihnen Land, Baumaterial und Werkzeug zur Verfügung zu stellen. Rund 2.000 Mann, die aus der Umgebung von Waslala stammen, warteten seither auf die Zuteilung von Land und kamen in der Zwischenzeit bei Verwandten oder befreundeten Bauern unter. Jede Woche treffen sie sich in Waslala, um die Nahrungsmittelration abzuholen, die ihnen über die Internationale Verifizierungskommission (CIAV) der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) bis zum Jahresende zugeteilt wird.

Waslala liegt im immergrünen Bergland von Matagalpa, 240 km oder sieben Stunden im Geländefahrzeug nordöstlich von Managua. Die Kleinbauern der Region leben mehr schlecht als recht vom primitiven Mais-, Reis-, Bohnen- und Kakaoanbau. Einige halten auch ein paar Rinder auf ihren hügeligen Grundstücken. Vor allem das umliegende Bergland, das nur zu Fuß oder per Maultier erreicht werden kann, gehörte schon lange zum Einflußbereich der Contras.

Bei den Wahlen im vergangenen Februar unterlagen die Sandinsten in der Gemeinde Waslala der Oppositionsallianz „Uno“. Die neue Stadtregierung von Waslala sah sich jedoch mit Strukturen konfrontiert, die sich ihrem Einfluß entzogen: die Sandinistische Polizei, die zwar zu einer professionellen Truppe geworden war, doch zehn Jahre im Dienste der Revolution nicht über Nacht abstreifen konnte; die Pfarrei unter der Leitung von Pater Enrique Blandon, der mit deutscher, italienischer und österreichischer Finanzierung Erziehungs- und Sozialprojekte organisierte; und die Genossenschaften der Umgebung, die sich jahrelang gegen Angriffe der Contras verteidigt hatten.

Jose Rizo, der Delegierte des Innenministeriums, schuf daraufhin, in Überschreitung seiner Kompetenzen, eine aus ehemaligen Contras rekrutierte „Landpolizei“, die es laut Innenministerium in Managua gar nicht gibt.

Blutige Zusammenstöße mit Ex-Contras

Als nun eine Gruppe von ungeduldigen Ex-Contras bei ihm vorsprach, riet er ihnen, sich das versprochene Land einfach bei den pro-sandinistischen Kooperativen zu holen, die ihm schon lange ein Dorn im Auge waren. Anschließend wurde er persönlich mit einer Abordnung der Demobilisierten bei allen Genossenschaften der Umgebung vorstellig und legte den Bauern nahe, den ehemaligen Contras Land abzutreten.

Bei den landwirtschaftlichen Mittelbetrieben, die allesamt im Zuge der Agrarreform gegründet wurden, entfallen auf eine Familie durchschnittlich sieben bis zehn Hektar Land — das ist in dieser hügeligen Gegend gerade genug, um halbwegs über die Runden zu kommen. Daher weigerten sich die Genossenschaftler, auf den Vorschlag einzugehen und verwiesen auf die zahlreichen Großgrundbesitzer der Gegend: Viele von ihnen ließen mehr als hundert Hektar brachliegen.

Moralisch unterstützt wurde der Protest der Bauern vom Gemeindepfarrer Enrique Blandon und seinen Mitarbeitern. „Uns erscheint es verfrüht, ehemalige Contras in den Genossenschaften anzusiedeln“, meinte Blandon, „die Wunden sind noch nicht vernarbt“. Fast alle Kooperativen sind nämlich in den vergangenen Jahren Ziel von Angriffen der Contras gewesen.

Jose Rizo, der hinter Bürgermeister Juan Valdivia der eigentliche starke Mann in der Gemeinde ist, empfahl den Pfarreimitarbeitern, sich gefälligst nicht in die Politik einzumischen und warnte die Bauern vor den Konsequenzen ihrer Entscheidung. Wenige Tage später begann die Besetzung der Genossenschaften. Fast 2.000 ehemalige Contras wollten jetzt die Abtretung von Land mit Gewalt erzwingen.

Zwei Wochen lang versuchten die Campesinos durch Interventionen bei Jose Rizo und Bürgermeister Valdivia in Waslala den Abzug der Contras zu erwirken — vergebens. In ihrer Verzweiflung besetzten Bauern und Mütter von Gefallenen am 1. Oktober das Rathaus, die Bank und das Krankenhaus. Bewaffnet mit ein paar Macheten und Eisenstangen forderten sie den Rücktritt des Bürgermeisters und den Abzug der Ex- Contras. Die Besetzer gaben jedoch bald auf, als sich vor dem Rathaus über hundert Gegendemonstranten versammelten, die Vidal Hernandez, der Korrespondent der offiziösen Tageszeitung 'La Prensa‘, zusammengetrommelt hatte. Beim Verlassen des Gebäudes wurden die Campesinos mit Steinen attackiert und Vidal Hernandez begann, wie mehrere Augenzeugen versichern, mit seiner Pistole zu feuern.

Als einige Leute, die mittlerweile die Rolle von Agitatoren übernommen hatten, wenig später beschlossen, die aufgeheizte Stimmung zu nützen und den „Volkszorn“ gegen Pfarrer Blandon und seine Mitarbeiter zu lenken, nahm die Konfrontation Züge eines Religionskampfes an. Denn viele der Uno-Anhänger gehören wie Bürgermeister Valdivia einer evangelischen Sekte an.

„Das Volk beschloß, die Anstifter der Unruhen zu vertreiben“, schildert 'La-Prensa‘-Korrespondent Hernandez die Ereignisse, „wir wollen hier keine Priester, die den Kommunismus predigen“. Die Menge drang schließlich in die Büro- und Wohnräume hinter der Kirche ein und verwüstete das Zimmer von Pfarrer Blandon. Ihm und dem italienischen Geistlichen Ubaldo Gervasoni gaben die Anführer 30 Minuten Zeit, den Ort für immer zu verlassen. Eine Funkanlage und ein teures Tonbandgerät verschwanden während der Plünderungen ebenso wie 5.000 US-Dollar, die eine deutsche Solidaritätsgruppe für ein Erziehungsprojekt gestiftet hatte. Blandon und Gervasoni brachen in Begleitung von drei brasilianischen Schwestern nach Managua auf.

Nachträglich wurde der Sturm auf die Kirche mit der Sicherstellung eines Waffenarsenals begründet. 'La Prensa‘ berichtete von 72 Sturmgewehren und Kisten voller Granaten, die auf dem Pfarrgelände gefunden worden seien. Tatsächlich fanden die Plünderer außer der Pistole unter dem Kopfkissen von Pater Blandon nur zwei Gewehre, die der Pfarrer den Campesinos aus den Genossenschaften abgenommen hatte, eine Granate und ein paar Schuß Munition.

Die Armee mußte eingreifen

Am folgenden Tag riefen die Honoratioren von Waslala nach den Ex- Contras, die sich in den Genossenschaften niedergelassen hatten: Sie sollten auch noch die sandinistische Polizei aus dem Ort vertreiben. Als eine Menge von vielleicht 600 machetenschwingenden Gestalten auf die Polizeistation losstürmte, die vielleicht mit zehn Leuten besetzt war, ließ der Polizeikommandant das Feuer eröffnen. Vier ehemalige Contras wurden getötet, sieben weitere verletzt. Ein Polizist erlitt Hiebverletzungen im Gesicht. Angesichts der Übermacht zogen es die Polizisten aber vor, ihren Posten zu räumen. Erst der Einsatz von zwei Armeekompanien konnte die Auseinandersetzungen ohne weiteres Blutvergießen beenden.

Die Situation bleibt jedoch weiterhin angespannt: Während die Gemeindeverwaltung und die Ex- Contras den sofortigen Abzug von Armee und Polizei fordern, fürchten die verbliebenen Sandinisten, daß sie ohne den Schutz der Streitkräfte Repressalien ausgesetzt werden.

Die Genossenschaften bleiben besetzt

In Zinica und den anderen Genossenschaften hat sich seither nichts verändert. Die Straßensperre steht nach wie vor, man darf erst nach Gesichtskontrolle passieren. Jose Ariel Hernandez, der sich immer noch gern Comandante Daniel nennen läßt, klagt über die Regierung: „Nichts haben sie getan für uns. Wir haben kein Land, kein Werkzeug, kein Baumaterial.“ Den Genossenschaftlern wolle man kein Land wegnehmen, beteuert er, „mit der Besetzung wollen wir nur Druck auf die Regierung ausüben“. Allerdings hätte er nichts dagegen, wenn die Bauern seinen Leuten ein paar Hektar abtreten würden. „In der Genossenschaft El Naranjo ist es bereits zu einer Einigung gekommen.“

Tatsächlich hat der Vorstand der nur wenige Kilometer entfernten Genossenschaft dem massiven Druck nicht standhalten können und einen Großteil ihres Landes den ehemaligen Contras überschrieben. Der Genossenschaftsvorsitzende von El Naranjo zerlegte bereits sein Holzhaus und will weiter östlich neues Ackerland erschließen.

Auch in der Kooperative Zinica hat die Besetzung den Alltag verändert. „Seit drei Wochen können wir wegen der Unsicherheit nicht mehr arbeiten“, seufzt Pedro Garcia, der einen Familienbetrieb innerhalb der Genossenschaft leitet. Die Frauen verlassen nur selten die Bambushütten, die in Steinwurfweite voneinander am Hang stehen. „Bisher haben sie uns nichts weggenommen“, klärt Garcia die Sachlage auf, „aber ständig kommen Ex-Contras und kündigen an, daß sie eine Kuh oder ein Schwein stehlen werden. Außerdem haben sie Zäune niedergerissen und jetzt zertrampeln uns die Rinder die Bohnenfelder“.

Der Krieg ist noch längst nicht vergessen

Im Gespräch untereinander, aber für die Bauern vernehmbar, lassen die Ex-Contras angeblich oft Drohungen fallen: „Bald machen wir sie fertig, die Sandinisten.“ Die meisten Mitglieder der Genossenschaft sind Kriegsvertriebene, die vor sieben Jahren schon vor den Contras geflohen waren und dann ein Stück Land zugewiesen bekamen.

Während des Krieges gelang es ihnen nicht, den Betrieb wirklich rentabel zu machen. Ständig mußten sie Männer zum Militärdienst abstellen; die Zurückbleibenden wechselten einander bei der Nachtwache ab und waren tagsüber auch nicht voll einsatzfähig. Im August 1985 konnte eine Attacke der Contras zurückgeschlagen werden — allerdings um den Preis von neun Toten und drei in Brand gesteckten Häusern. Die erste Nachkriegsernte ist wegen unzureichender Regenfälle schlecht ausgefallen. Die bevorstehende Sommersaat ist durch die bedrohliche Präsenz der Besetzer gefährdet.

In La Posolera, einer weiteren Genossenschaft im Umkreis von Waslala, die vom Tiroler Schauspieler Dietmar Schönherr unterstützt wird, ist vor ein paar Wochen die Nachtwache wieder eingeführt worden. Die Bauern sind überzeugt, daß sie einer Besetzung nur deswegen entgangen sind, weil die Ex-Contras hier mit Widerstand rechnen.

Das Grundproblem: Verteilung von Land

„Das Besetzen von Genossenschaften und Staatsfarmen ist nicht unsere Politik“, versicherte kürzlich in Managua Boanerges Matus, ein ehemaliger Contra-Führer. Dennoch sind derzeit landesweit 20 Kooperativen von demobilisierten Contras besetzt.

Daniel Nunez, der Chef des pro- sandinistischen Kleinbauernverbandes UNAG, der auch 120.000 Genossenschafter vertritt, hält die Landforderungen der ehemaligen Kriegsgegner für legitim. Doch sollten diese Campesinos sich nicht auf Kosten anderer Campesinos schadlos halten. „Wir haben genug Opfer gebracht“, meint er. Mehr als 6.500 Genossenschaftler seien im Krieg gefallen oder in Hinterhalten ermordet worden.

Auch die sandinistische Agrarreform ist noch nicht abgeschlossen: 25.000 Familien warten noch auf ein Stück Land. Jetzt ist es für die Kleinbauern schwer zu verstehen, daß die ehemaligen Feinde bevorzugt werden und nicht nur pro Kopf 35 Hektar Land in der Nähe von Zufahrtstraßen beanspruchen können, sondern diese Forderungen auch noch mit Repressalien gegen die falschen Leute durchsetzen.

Bündnisse mit Ex-Contras

In manchen Gegenden haben sich die sandinistischen Kleinbauern mittlerweile sogar mit den Ex-Contras verbündet und gemeinsam das Gut eines Großgrundbesitzers besetzt. In der Rinderzuchtregion Boaco/Chontales ist es sogar zu einem förmlichen Abkommen zwischen UNAG und Ex-Contras gekommen, die Landprobleme gemeinsam anzugehen.

Gustavo Tablada, der Chef des Agrarreforminstituts, beteuert, daß derzeit zu wenig Land verfügbar sei, nämlich nur 50.000 Hektar. Großgrundbesitzer, die reichlich Brachland zur Verfügung haben, sind zwar zum Verkauf bereit, verlangen aber Phantasiepreise. 70.000 Hektar wurden bereits an Demobilisierte übergeben, aber 4.000 Ex-Contras warten noch auf Land.

Edgardo Garcia, der Vorsitzende der sandinistischen Landarbeitergwerkschaft ATC, vermutet politische Absichten hinter den Landbesetzungen. Einzelne Contra-Kommandanten und ultrarechte Uno-Politiker, vor allem die Delegierten des Innenministeriums in den Regionen, versuchen seiner Ansicht nach, die sandinistischen Genossenschaften systematisch zu zerschlagen. Selbst Israel Galeano, alias Comandante Franklin, der oberste Contra-Chef, führte in einem Interview die blutigen Ereignisse von Waslala auf den „Revanchismus“ der Uno-Politiker zurück: „Jemand will im eigenen politischen Interesse die ehemaligen Kämpfer als Instrument gegen die Sandinisten mißbrauchen.“

Daniel Nunez schlug den Ex- Contras ein großes Klassenbündnis unter Campesinos vor, „denn wenn wir uns zusammentun, sind wir die stärkste Kraft im Land.“ Wenn das Landproblem der Contras jedoch nicht schleunigst gelöst würde, „dann gibt es hier in sechs Monaten Krieg“.