Chancen für die Intensiv-Landwirte

Die Dritte Welt hat im Gatt-Agrarstreit längst keine einheitliche Position mehr/ Einerseits helfen die heruntersubventionierten Preise bei der Versorgung der Stadtbevölkerungen, andererseits zerstören sie die kleinbäuerlichen Sektoren der Importnationen  ■ Von Michael Windfuhr

Anfang Dezember nähert sich die achte Verhandlungsrunde des Gatt ihrem Ende. Doch im Agrarbereich scheint auch nach einem vierjährigen Verhandlungsmarathon kaum etwas erreicht. Nach wie vor unversöhnlich stehen sich die Positionen gegenüber. In zwei lauwarmen Kompromißpapieren zu Beginn und zur Halbzeit der Uruguay-Runde konnten die Verhandlungsdelegationen zwar den allgemeinen Konsens erzielen, auch im Agrarbereich mehr Liberalisierung zu wagen. Doch bei den konkreten Fragen, welche Subventionen in welchem Ausmaß wie schnell abgebaut werden sollen, scheint ein internationaler Kompromiß in weiter Ferne.

So avancierten die Agrarverhandlungen in den letzten Wochen zum schlagzeilenträchtigen Hauptstreitpunkt der Gatt-Verhandlungen. Die US-Handelsbeauftragte Carla Hills wird auf ihrer Rundreise durch Europa nicht müde, darauf hinzuweisen, daß ein Scheitern der Agrarverhandlungen die gesamte Gatt-Runde gefährden könnte, ja sogar einen Austritt der USA aus dem Gatt zur Folge haben könnte.

Unbedeutende Rolle der Landwirtschaft?

Dies weckt Ängste bei Industrievertretern in Europa. Gerade noch 1,2 Prozent trägt laut neuestem Agrarbericht der Bundesregierung die Landwirtschaft zum Bruttosozialprodukt der Bundesrepublik bei. Auch in den europäischen Nachbarländern übersteigt dieser Prozentsatz kaum die Fünf-Prozent-Marge. Warum sollte nun wegen dieses scheinbar so marginalen Wirtschaftssektors, der zudem den größten Teil der EG-Haushaltsausgaben verschlingt, das Funktionieren des Gatt, der für Exportweltmeister so wichtigen Welthandelsordnung, gefährdet werden?

Doch bei den Agrarverhandlungen geht es um mehr als um ein Opfer hochverwöhnter und am Subventionstropf hängender europäischer Bauern. Im Hintergrund des vehement geführten Agrarstreits steht die weltweite Krise der Landwirtschaft. In rasantem Tempo verändert sich der Agrarsektor derzeit. Dem Bauernsterben in den Industrieländern steht eine sinkende Nahrungsmittelselbstversorgung in vielen Entwicklungsländern gegenüber. Nur 44 der 108 Entwicklungsländer konnten im letzten Jahr ihre Pro-Kopf-Produktion von Nahrungsmitteln steigern. Insgesamt stiegen die Nahrungsmittelimporte der Dritten Welt 1989 um 3,7 Prozent.

Eine der Hauptursachen dieser Entwicklungstendenzen ist der seit Anfang der achtziger Jahre tobende Agrarhandelskonflikt zwischen der EG und den USA. Zur Lösung ihrer schon Ende der Sechziger dringenden Agrarprobleme hatten die USA eine Exportoffensive beschlossen, die ab 1970 ihre Ergebnisse zeigte. Von sieben Milliarden US-Dollar im Jahr 1970 konnten die USA ihre Agrarexporte auf 40,5 Milliarden US-Dollar zehn Jahre später ausweiten. Mit 26,5 Milliarden Dollar Handelsbilanzüberschuß war der Agrarsektor zu Beginn der achtziger Jahre zu einem der wenigen Aktivposten in der chronisch defizitären Handelsbilanz der USA geworden.

Die Konflikte begannen, als die EG ihrerseits ab Anfang der achtziger Jahre mit der wachsenden Überschußproduktion auf die Weltmärkte drängte. Innerhalb nur weniger Jahre gelang es ihr, bedeutende Anteile auf den Weltagrarmärkten zu gewinnen. Mit Hilfe von Exportsubventionen zur Überbrückung der Differenz zwischen hohem Binnenmarktniveau und niedrigeren Weltmarktpreisen schaffte sie es, bei Molkereiprodukten und Zucker zum größten und bei Rindfleisch und Getreide zum zweitgrößten Exporteur der Welt zu werden. Während in der EG die Agrarhaushaltskosten in die Höhe schnellten, war der Agrarhandelsbilanzüberschuß der USA bis 1985 wieder verschwunden.

Die Antwort der USA ließ nicht lange auf sich warten. Ein besonderes Exportförderungsprogramm mit dem Namen BICEPs (Bonus Incentive Commodities Export Program) von 1985 und zusätzliche Exportförderungsrichtlinien im neuen Agrargesetz von 1986 schufen die Grundlagen für eine Antwort auf die EG- Agrarexportoffensive. Mit gewaltigen Haushaltsmitteln kämpfen die beiden Agrarsupermächte seitdem um Weltmarktanteile. Während sich dabei die europäischen und US-amerikanischen Agrarkassen leerten, kamen die Weltagrarpreise im hochsubventionierten Dumpingwettstreit ins Rutschen. Die neue Gatt-Verhandlungsrunde wählten die USA daraufhin als Forum, um die EG in ihre Schranken zu weisen. Eine weitreichende Liberalisierung des Agrarhandels soll den USA angestammte Märkte wiederbringen.

Cairns-Gruppe: Abbau plus Sonderregelungen

Zu Hauptleidtragenden des Preisverfalls wurden auf der einen Seite die traditionellen Agrarhandelsexporteure wie Kanada, Neuseeland, Australien, Argentinien und Brasilien, die einen deutlichen Rückgang ihrer Agrareinnahmen verbuchen mußten. Auf Einladung von Australien trafen sich deshalb im Vorfeld der Gatt-Runde 13 große Agrarexportnationen im australischen Küstenort Cairns. Sie einigten sich auf ein gemeinsames Vorgehen bei den Agrarverhandlungen. Vergleichbar den USA fordert die „Cairns-Gruppe“ seitdem einen weltweiten Abbau der Agrarsubventionen. Im Gegensatz zu den USA wollen sie jedoch die im Gatt-Vertragstext für Entwicklungsländer gültigen Sonderregeln beibehalten. Auf der anderen Seite traf der Verfall der Weltmarktpreise vor allem Bauern in Entwicklungsländern, die seither auf den meist ungeschützten Binnenmärkten mit den hochsubventionierten Tiefstpreisen konkurrieren müssen.

Vielen Regierungen von Entwicklungsländern kamen die niedrigen Weltmarktpreise allerdings entgegen. Zur Erwirtschaftung von Devisen fließt seit langem in vielen Ländern ein Großteil der Investitionen im Agrarsektor in die Exportlandwirtschaft, eine Notwendigkeit, die angesichts der Verschuldungskrise weiter zugenommen hat. Die niedrigen Preise für Nahrungsmittel auf dem Weltmarkt, zum Teil auch Nahrungsmittelhilfegeschenke, boten die Möglichkeit, die Verbraucher in den städtischen Zentren günstig zu versorgen.

Die Sorge vieler nahrungsmittelimportierender Entwicklungsländer ist es nun, daß ein infolge des Subventionsabbaus steigender Weltmarktpreis für Nahrungsmittel die zukünftige Rechnung für die Agrarimporte erheblich verteuern wird. Gerade angesichts des derzeitigen Preisverfalls für traditionelle Agrarexportprodukte von Entwicklungsländern, etwa von Kaffee oder Kakao, ist zu befürchten, daß die Länder, die derzeit bereits mit stagnierenden oder sinkenden Exporteinnahmen steigende Nahrungsmittelmengen kaufen müssen, einen Preisanstieg der Nahrungsmittel nicht mehr bezahlen können.

Noch während der siebziger Jahre hatten die Entwicklungsländer ihre handelspolitischen Forderungen im Rahmen der Welthandelskonferenz (Unctad) gemeinsam formuliert. Im Rahmen einer neuen Weltwirtschaftsordnung hatten sie regulierende Eingriffe in den Weltmarkt verlangt, um den Verfall der Austauschrelationen zwischen Rohstoffpreisen und Industrieprodukten aufzuhalten.

Die Verlagerung der Gewichte internationaler handelspolitischer Diskussionen von der Unctad zum Gatt spiegelt nicht nur eine Verlagerung der handelspolitischen Schwerpunktsetzung von der Regulierung zum Freihandel wider, sondern auch die zunehmende Differenzierung innerhalb der Gruppe der Entwicklungsländer.

Rechtzeitig vor Beginn der Gatt- Runde legten die Weltbank und die OECD allerdings zahlreiche Studien vor, die die Bedenken vieler Entwicklungsländer zerstreuen sollten. In Modellrechnungen versuchten sie, die Auswirkungen einer weitreichenden Liberalisierung im Agrarbereich zu berechnen. Gewinner des Subventionsabbaus werden vor allem diejenigen Industrieländer sein, deren derzeitiges Subventionsniveau sehr niedrig ist — etwa Kanada und Australien. Besonders werden die Preise für bisher hochsubventionierte Produkte (Zucker, Rindfleisch und Molkereiprodukte) steigen. Unter den Entwicklungsländern wird dies vor allem den hochverschuldeten Agrarexportnationen Lateinamerika, Argentinien und Brasilien beim Rindfleisch und Zuckerexport zugute kommen.

Im Weltentwicklungsbericht 1986 versucht die Weltbank jedoch auch, den anderen Entwicklungsländern eine Liberalisierung schmackhaft zu machen. Zwölf Milliarden US-Dollar könnten sie gewinnen, wenn sie ihre bisherige negative Besteuerung der Landwirtschaft aufheben würden. Die steigenden Weltmarktpreise würden zudem den Bauern neue Produktionsanreize vermitteln, so daß die Nahrungsmittelproduktion wieder steigen würde.

Äußerste Skepsis bei Bauernorganisationen

Äußerst skeptisch beurteilen allerdings Bauern- und Umweltorganisationen aus Entwicklungsländern diese Versprechungen. Zwar werde der Weltmarktpreis für Nahrungsmittel leicht steigen, daß dies aber zu Produktionsanreizen für Kleinbauern führen werde, sei mehr als zweifelhaft. Selbst die Weltbank muß in ihren Studien einräumen, daß beispielsweise der Reispreis in Asien aufgrund des im Falle der Liberalisierung notwenigen Abbaus bisheriger Preisstützungssysteme in Entwicklungsländern sogar um zwölf Prozent sinken wird. Wenn es Entwicklungsländer in Zukunft nicht mehr erlaubt sei, zur Förderung einer ökologisch nachhaltigen Produktion von Grundnahrungsmitteln positive Schutzmaßnahmen zu erlassen, müßten Kleinbauern — zum Teil in benachteiligten Regionen — mit dem Weltmarktpreis der günstigsten Anbieter konkurrieren.

Ob die in den USA, in Australien oder in anderen Ländern oft mit Hilfe ökologisch fragwürdiger Intensivlandwirtschaft erzielten Preise aber der agrarpolitischen Weisheit letzter Schluß seien, stellen bei den Gatt- Verhandlungen auch Japan, die skandinavischen Länder und die Schweiz in Frage. Sie alle fordern Schutz zur Aufrechterhaltung ihrer zum größten Teil in geografisch benachteiligten Gebieten liegenden Landwirtschaft. Zustimmen würden sie allerdings einem Verbot der Exportsubventionen.

Doch liegt genau hierin der eigentlich agrarpolitische Zündstoff der Gatt-Verhandlungen. Längst haben sich die EG-Kommission und die Mitgliedsländer damit abgefunden, daß zur Reform der EG-Agrarpolitik allein aus Haushaltsgründen ein Subventionsabbau notwendig ist. Seit mehreren Jahren werden Jahr für Jahr Agrarpreissenkungen vorgenommen, die bei den Gatt-Verhandlungen als einseitige Vorleistungen der EG verkauft werden. Ziel dieser Maßnahmen ist es, durch beschleunigten Agrarstrukturwandel zu Weltmarktpreisen die nicht konkurrenzfähigen Bauern aus der Produktion zu drängen. Auf keinen Fall möchte die EG, daß bestimmte Arten von Stützgeldern wie etwa die Exportsubventionen verboten werden.

Zukünftige Weltmarktorientierung der Landwirtschaft heißt das Ziel auch für die EG — mittels langfristig international konkurrenzfähiger Intensivlandwirtschaft bei gleichzeitiger Sicherung der Exportmärkte. Der EG-interne Streit ist deshalb vor allem ein Streit über Ausmaß und Tempo des agrarstrukturellen Wandels in der EG, dessen Positionen sich aus der Wettbewerbsfähigkeit der jeweiligen nationalen Landwirtschaft ableiten.

Auch wenn derzeit so viel darauf hinweist: Ein Scheitern der Gatt- Verhandlungen ist noch immer kaum vorstellbar. Immerhin kommen die USA der EG inzwischen in der Frage der Exportsubventionen entgegen, da auch die US-Landwirtschaft einen vollständigen Subventionsabbau nicht verkraften könnte: Statt 100prozentigem Verbot liegt ihre Forderung bei 95prozentigem Abbau der Exportsubventionen.