Honecker: „Keine Angst vor Schauprozeß“

■ Der Ex-Staatschef der Ex-DDR gibt britischer Zeitung 'The European‘ angeblich Exklusivinterview

Berlin (taz) — Weil im letzten Jahr im Hause des britischen Verlags Taicoon Maxwell eine Honecker-Biographie verlegt wurde, gibt es gewissermaßen eine Tradition der Exklusivinterviews mit dem ehemaligen Staatsratsvorsitzenden. Es gab ein Interview vor der Wende. Jetzt wurde in Maxwells 'The European‘ ein angebliches Interview mit Honecker veröffentlicht. Seinen Anwälten zufolge war es aber nur ein Gespräch mit einem Genossen aus der Widerstandszeit, Heinz Junge. Sensationell ist da bestenfalls, wie wenig er zu sagen hat oder sagen will. Er ist verbittert, uneinsichtig und nach wie vor empört über den Verrat der Sowjetunion: „Die Intrigen, die darauf zielten, unsere Partei zu zerstören, sind inzwischen transparent geworden. Sie haben viel Leid mit sich gebracht. Es war genau das selbe Szenario wie in allen anderen sozialistischen Ländern. Es wird nicht mehr lange dauern, bis die Wurzeln offengelegt sein werden, die diese Entwicklung hervorgerufen haben. Der Kommunismus hat sicherlich eine schwere Niederlage erlitten. Aber er wird sich davon erholen.“

Honecker sieht keinerlei Grund zur Selbstkritik: „Alles, was ich getan habe, tat ich in dem Bewußtsein, daß es dem Volk und dem Frieden nützte. In der gegenwärtigen Situation braucht man aber Sündenböcke, und mich macht man zu einem der größten. Meine Frau und ich sind über die Anschuldigungen und Verdächtigungen schockiert. Wir werden der Korruption und der Bereicherung auf Kosten des Volkes angeklagt. Aber Margot und ich haben kein Luxusleben geführt. Wir haben auch keine Schweizer Bankkonten. Meine Frau und ich verstehen nicht, warum uns die verfassungsmäßigen Grundrechte in der DDR (im englischen Wortlaut steht tatsächlich GDR — KH.) verweigert werden — das heißt das Grundrecht auf eine ordentliche Wohnung für uns.“

Die Honeckers benutzen im sowjetischen Militärhospital in Beelitz einen sieben Quadratmeter großen Wohnraum mit Küchenecke. Der ehemlige SED-Chef erhält 500 DM Rente und erwartet zusätzlich eine Rente als Naziopfer über 1.700 DM. Zum Zusammenbruch des Realsozialismus äußert er sich sehr allgemein: eine „große Enttäuschung“ sei es, „daß so viele Menschen den Sozialismus vergessen haben und jetzt nur an die D-Mark denken.“ Aber er leidet weniger an Paranoia als an Optimismus: „Trotz entsprechender Rufe auf den Demonstrationen und trotz der Parolen auf den Transparenten, fürchte ich nicht, daß ehemalige DDR-Bürger mich bedrohen oder mich gar lynchen wollen. Im Gegenteil: Am Ende wird man begreifen, wie recht ich hatte. Jetzt schon ist es offenbar geworden, was alles an Rechten und sozialen Sicherheiten die Leute verloren haben. Ich fürchte auch keinen Schauprozeß“ — die Verwendung dieses Wortes gehört zu den aufschlußreichsten Elementen im Gespräch — „Ich weise den Vorwurf der Staatsanwaltschaft, verantwortlich für den Tod von 200 Menschen an der DDR-Grenze zu sein, zurück. Persönlich bin ich da unschuldig. Im übrigen erinnere ich mich an jene Grenzwächter, die umgebracht wurden, weil sie die DDR- Grenze schützten.“ Als generelle Rechtfertigung der Mauer bietet Honecker den Hinweis an: „Fakt ist, daß die Sieger des Zweiten Weltkrieges, die Alliierten, die Teilung wollten.“ Die politische Zukunft ist für Honecker klar: „Wir müssen das Vordringen der rechten Kräfte stoppen. Ich bin entschlossen, den Kampf weiter zu führen.“ Nur einen Privatwunsch hat er, wie die meisten seiner einstigen DDR-Mitbürger, über vierzig Jahre lang: „Ich will nicht emigrieren. Ich möchte meine Tochter und Enkel (in Chile — KH.) sehen. Dann werde ich wieder zurückkehren.“ KH