„Habe die Kameraden aufgefordert, im Suezkanal von Bord zu springen“

■ Das „Darmstädter Signal“, eine Gruppe kritischer Bundeswehrsoldaten, lehnt Einsatz im Golf ab/ Interview mit Major Helmuth Prieß INTERVIEW

Der Arbeitskreis „Darmstädter Signal“ hat sich 1983 gegründet, als Reaktion auf den Nato-Beschluß, Pershing-Raketen in Europa zu stationieren. Das „Darmstädter Signal“ nimmt die Sicherheitspolitik der Bundesregierung kritisch unter die Lupe ebenso wie das Innenleben der Bundeswehr, in dem nach Auffassung der Mitglieder der staatsbürgerliche Auftrag viel zu kurz kommt. Der Arbeitskreis — laut Bundeswehr-Major Helmuth Prieß nur „die Spitze des Eisberges“ — setzt sich bundesweit aus über 200 Soldaten verschiedener politischer und weltanschaulicher Couleur zusammen. Inzwischen haben sich auch Offziere der ehemaligen Nationalen Volksarmee (NVA) dem „Darmstädter Signal“ angeschlossen.

taz: Vor einigen Tagen haben sie eine Veranstaltung zum Thema Abrüstung durchgeführt, Verteidigungsminister Stoltenberg war auch geladen, erschien aber nicht. Worum ging es?

Helmuth Prieß: Die Verteidigungsminister, die seit dem Bestehen der Bundeswehr ja von der CDU gestellt werden, haben mit dem Hinweis, wir würden andere politische Positionen vertreten, es bislang immer abgelehnt, zu unseren Veranstaltungen zu kommen. Ich halte das für einen bedauerlichen und undemokratischen Vorgang. Unser Gespräch ging um die „Zukunft deutscher Streitkräfte in Europa“. Das „Darmstädter Signal“ fordert ein europäisches Sicherheitssystem, bei dem die KSZE-Länder eine defensive Verteidigungsstruktur ohne Massenvernichtungswaffen für Europa aufbauen.

Das wäre sozusagen eine gesamteuropäische Streitmacht?

Richtig. Es geht nicht mehr um nationale Streitkräfte und auch nicht mehr um die Nato. Es handelt sich dann um eine gesamteuropäische Streitmacht von etwa einer halben Million aktiver Soldaten. Das würde eine ausreichend große Schutztruppe für Europa darstellen. Für eine solche Truppe beträgt dann das deutsche Kontigent zwischen 50.000 und 100.000 Mann.

Welche Schritte müßten denn jetzt auf ein solches defensives Sicherheitssystem hin getan werden?

Die schon vorhandene politische Zusammenarbeit der KSZE-Länder müßte institutionalisiert werden. Darüber hinaus gilt es, gesamteuropäische Ausbildungs- und Abrüstungseinrichtungen aufzubauen. Wir leben in der Zeit eines außergewöhnlichen Umbruchs, wobei die Chancen für eine Veränderung in Europa noch nie so groß waren wie heute.

Sie haben sich mit einem sehr markanten Satz gegen den Einsatz der Bundeswehr am Persischen Golf ausgesprochen.

Ich habe meine Kameraden aufgefordert, die den Befehl haben, mit Minensuchbooten den Suezkanal Richtung Golf zu durchfahren, von Bord zu springen. Denn dies wäre ein rechtswidriger Befehl, den Soldaten nicht ausführen dürfen. Unser Arbeitskreis hält den Bundeswehreinsatz außerhalb des Bündnisgebietes der Nato für falsch. Wir würden in die Situation geraten, an allen Stellen der Welt wirtschaftliche Interessen unserer Republik zu verteidigen. Auch einem Einsatz im Rahmen der UNO stehe ich sehr skeptisch gegenüber. Selbst UNO-Einsätze können wirtschaftspolitischen Interessen dienen. Außerdem ist die Hoffnung trügerisch, Deutsche könnten quasi als Linienrichter fungieren — ähnlich wie die Österreicher auf dem Golan. Dazu sind wir ökonomisch weltweit viel zu sehr verflochten und haben dementsprechende politische Interessen. Solche Rollen eigenen sich eigentlich nur für kleinere, neutrale Länder.

Wie sehen die nächsten Aktionen des „Darmstädter Signals“ aus? In Leipzig ist für den 7. bis 9. Dezember ein weiteres Treffen angesagt.

Diese Arbeitstagung in der zweiten Dezemberwoche wird sich mit der Weiterentwicklung sicherheitspolitischer Positionen befassen. Durch die Wahl des Tagungsortes Leipzig — wir waren im April schon mal in Grünheide — wollen wir unser Interesse dokumentieren, ehemalige Angehörige der NVA für eine Mitarbeit in unserem Arbeitskreis zu gewinnen. Wir werden uns zudem mit Vertretern der Nicolaikirche unterhalten, denn dort hat ja der Umbruch in Osteuropa seine Fortsetzung auf deutschem Boden gefunden. Außerdem steht der Besuch eines sowjetischen Truppenteils auf dem Programm. Interview: Thomas Worm