Griechische Tempel: zu Recht ruiniert?

■ Wer sonntags arbeitet, hat keine Zeit für die wirklich schönen Dinge im Leben

Was haben ein Saunabesuch, eine Massage und ein sonntäglicher Kirchenbesuch gemeinsam? Die Entspannung kommt unerwartet, ein Kloß löst sich im Hals, und das ganze Elend deines ruinösen JournalistInnen-Lebens bricht über dich herein. Daran konnte gestern noch nicht einmal die wirre Predigt von Pastor Breitenfeldt in der Kirche der Gemeinde Alt-Hastedt an der Bennigsenstraße etwas ändern, die gemeinerweise das Thema Zeit ist Geld abhandelte. Das Thema war der letzte Programmpunkt einer Predigtreihe mit dem originellen Titel: Wechselnde Trends und ewiges Wort. Schon abgehakt waren Der Verlust des Schamgefühls und Jeder schön für sich. Gestern besetzte die gesangserprobte Gemeinde (Ein feste Burg ist unser...) immerhin die Hälfte der 28 Kirchenbänke.

Der blutjunge Pastor Breitenfeldt verliest zur Einstimmung auf die Predigt die Epistel des Apostel Paulus: Laß dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit dem Guten. Nach einem modernen Lied, rhythmisch und auffordernd wie Wenn die bunten Fahnen wehen — als Fotokopie dem Gesangbuch beigelegt — erklimmt der Pastor die Kanzel.

Schon die alten Athener Philosophen hörten Paulus nur zu, weil sie gierig nach Neuigkeiten waren. Sie flitzten von einem Prediger zum nächsten, um ja nichts zu verpassen. Kirchenprediger Breitenfeld flitzt in seinem Rundumschlag über die Hektik unserer Zeit im Geiste zu Anschlagsopfer Alfred Herrhausen, der ja auch schon gesagt habe, daß wir uns nicht die Zeit lassen, Dinge zu Ende zu denken.

Ist die Eile nun ein Fluch der modernen Zeit oder altgriechisch? Breitenfeldt: „In einem griechischen Dorf bewegen sich die Leute genau halb so schnell wie im New Yorker Stadtteil Brooklyn.“ Dabei haben wir doch alle die selben Uhren, und das schon seit der ersten Sonnenuhr 1500 Jahre vor Christi Geburt. Sind die Uhren schuld an der Eile? Nein, wir haben vergessen, am Sonntag zu ruhen, wie Gott es nach der Welterschaffung vorgemacht hat. Und deshalb hören wir auch nicht mehr, daß Gott uns anredet. Breitenfeldt: „Wer immer in Aktion ist, wird Gottes Stimme niemals hören — jedenfalls nicht vor dem ersten Herzinfarkt.“ Die Athener Philosophen schickten Paulus weg. Breitenfeldt weiß, daß deshalb ihre Tempel heute in Trümmern liegen, wohingegen Paulus Rede auf einer Bronzetafel verewigt ist. Daraus schließt er, daß Himmel und Erde vergehen, nicht aber Gottes Worte. Deshalb sollen wir uns Zeit nehmen.

Die Atheistin freut sich über dieses kirchliche Angebot. Endlich Zeit für die Herbstspaziergänge im feuchten Laub, endlich mal wieder in die Sauna und zur Massage... Beate Ramm