Starrummel und Understatement

Küßt Mandela, hängt Mandela — Ein Idol zwischen den Fronten, ARD, 21.30 Uhr  ■ Aus Johannesburg Tim Murphy

Er verrinnt in Zeitlupe, der „schwerelose Augenblick“: Kameramann Michael Conde hält auf den grauhaarigen Weltstar, der gerade irgendeine Veranstaltung betritt, um sofort ihr Mittelpunkt zu werden — lachend, winkend, händeschüttelnd, redend. Nelson Mandela, im Februar nach 27 Jahren freigelassener Häftling des Apartheidstaates Südafrika, Hoffnung eines kranken Landes, Held von unterdrückten Schwarzen in aller Welt.

Seit er frei ist, tourt Mandela durch die Welt. Ein Gesicht, dessen Abdruck in seiner Heimat über Jahrzehnte verboten war, dessen Veränderung auch der Rest der Welt nicht sehen konnte. Bis sich die Gefängnistore öffneten und aus dem dicklichen, jungen Anwalt und Boxer plötzlich ein schlanker alter (Staats- ?)Mann wurde.

ARD-TV-Korrespondent Thomas Roth, seit zweieinhalb Jahren in Johannesburg postiert, hat versucht, Mandela nahezukommen, mit der Kamera hinter das Fernsehgesicht des Politprofis zu kommen. Er verheimlicht nicht, daß ihm der Mann auch danach noch gefallen hat.

Roth hat versucht, möglichst viel in die Dreißig-Minuten-Dokumentation zu packen. Noch einmal sehen wir die irrsinnigen, blutigen letzten Monate in den Townships; die Mit- und Gegenspieler Nelsons: Präsident de Klerk, ewig ein schräges Lächeln im Gesicht tragend, Zulu-Potentat Buthelezi, der Mann mit vielfach gespaltener Zunge, der Angst hat, bald keine Rolle mehr zu spielen. Und weiße Kinder im ordentlich gebügelten Khaki-Hemd, die marschieren und kreischen: „Hängt Mandela, hängt Mandela!“

Aber auch den Genossen daheim, der seiner Familie über das Leben im Knast erzählt; der seine Nachbarn abklappert und sein bloßes Erscheinen löst eine Party aus; der nach Hause fährt in die Transkei, wo er als Kind Mais vom Feld geklaut hat. Das ist eines der stärksten Bilder des Films: Durch die stillen Hügel der Transkei bewegt sich, schiebt sich eine Staubwolke heran: die Fahrzeugkolonne des heimkehrenden Mandela.

Manchmal versucht Roth die schönen Bilder noch zu übertrumpfen und verheddert sich in zuviel Metaphorik: „Je länger Mandela auf dem Drahtseil geht, desto mehr vereist seine Miene“. Doch ganz am Schluß, als es wirklich kitschig zu werden droht, darf Nelson persönlich die weihevolle Stimmung kaputtmachen. „Ich bin auch nur ein armer Sünder, der versucht, irgendwie klarzukommen“, sagt er mit einem charmanten Grinsen. Dann kommt wieder Zeitlupe, Pink Floyd spielt auf, das Idol entschwebt im Hubschrauber. Und man hat eine Menge gesehen.