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Pog mo thoin

■ Die neue Platte von den Pogues

Die Pogues, acht Folk-Punker aus dem irischen Teil Londons, stecken offenbar in einer depressiven Phase: „Das Leben ist eine Hure, und dann stirbst du. Schwarze Hölle.“ Der Titelsong der neuen LP Hell's Ditch (Graben der Hölle) ist typisch für die ganze Platte — die Texte klingen allesamt wie eine öffentliche Selbstmordankündigung. Musikerkollege Paul Cleary, früher Sänger bei den Blades, befürchtet das Schlimmste: „Jetzt hat Shane schließlich die letzte Spur von Optimismus aufgegeben und sich in ein bodenloses Loch sardonischer Resignation gestürzt.“

Möglicherweise hat Ober-Pogue Shane McGowan die Texte unter Alkoholentzug geschrieben. Er bestreitet das jedoch: „Ich schreibe nie, wenn ich nüchtern bin. Wüßte gar nicht, wo ich anfangen sollte.“ McGowan erzählt bei jeder Gelegenheit, daß er den ganzen Tag lang säuft — jeden Tag: „Ich hasse Kater. Und die Sache ist, wenn du morgens was trinkst, geht's dir besser. Ist doch wahr.“ Das Stereotyp des versoffenen Iren hält er dennoch für eine böswillige Unterstellung: „Die britischen Medien haben uns benutzt, um diese Vorurteile zu verstärken.“ Ein ernsthafter Musikkritiker warf McGowan einmal vor, er gebe seinen jüngeren Fans ein schlechtes Beispiel. „Ich bin ein verdammt schlechtes Vorbild“, antwortete der. „Aber die meisten unserer Fans brauchen so was gar nicht. Die sind durchaus in der Lage, selbst völlig widerwärtig und verkommen zu sein. Gott segne sie.“

Doch die Zeiten, als die Pogues jedem aufrechten Folk-Puristen die Haare zu Berge stehen ließen, sind vorbei. Inzwischen beherrschen sie ihre Instrumente einigermaßen und klingen über weite Strecken gar erschreckend harmonisch. Das Ergebnis ist fast konventioneller Folk- Rock mit ethnischen Einflüssen: Lorca's Novena enthält südamerikanische Elemente, Sayonara ist ein japanischer Foxtrott und The Wake of the Medusa ein orientalischer Quickstep. Die Pogues stammen aus Camden Town in Nord-London, einer „Seite Londons, die fast aus der englischen Kultur herauszensiert wurde“, wie der irische Rockkritiker Bill Graham schreibt. Der englische Imperialismus hat sich Camden Town selbst eingebrockt. Der Stadtteil ist ein Mini-Commonwealth. „Du mußt nicht nach Südamerika, Asien oder Afrika fahren, um die Wurzeln unserer Musik zu finden“, sagt Banjo-Spieler Jem Finer. „Du kannst diese Musik hier in Restaurants, im lokalen Piratensender, in Kneipen oder in den Häusern der Bewohner hören. Du brauchst nur rumzulaufen.“

Den Pogues ist zweifellos zugute zu halten, daß sie verschiedene Kulturen in ihrer Musik verbinden und sich nicht auf sentimentale Auswandererlieder beschränken, die in Londons Irish Pubs feuchte Augen hervorrufen. Doch Hell's Ditch ist eher langweilig. Green Queen and Jean klingt wie eine Mischung aus Hans Albers und Bob Dylan, Six To Go erinnert entfernt an die Incredible String Band, und die Melodie des langsamen Summer in Siam im Walzerrhythmus ist irgendwo geklaut. Lediglich in dem ironischen Sunnyside of the Street und dem schnellen Tanz Rain Street rotzt McGowan den Text raus wie eh und je: „I tried to take a late night piss, but the toilet moved, so again I missed.“ Aber der Garagensound früherer Jahre ist wohl endgültig dahin. „Als wir anfingen, wußte Spider Stacy gar nicht, was eine Blechflöte ist“, sagt Finer. „Ich selbst konnte lediglich ein bißchen Gitarre spielen, bin aber in letzter Sekunde aufs Banjo umgestiegen.“ Nun ist gegen eine musikalische Weiterentwicklung im Grunde nichts einzuwenden, doch die Pogues nähern sich auch dank der technisch perfekten Produktion mit Windeseile dem Mainstream an. Das haben auch die Dubliners, seit den sechziger Jahren zumindest im Ausland Inbegriff irischer Musik, inzwischen anerkannt: Im Sommer nahmen beide Gruppen gemeinsam ein Lied für die irische Fußball-Nationalmannschaft auf.

Die Pogues hießen früher „Pogue Mahones“ — in Anlehnung an den gälischen Satz „Pog mo thoin“ („Leck mich am Arsch“). In der irrigen Annahme, daß ihre Lieder wegen des unflätigen Namens nicht im Radio gespielt wurden, änderten sie ihn. Gespielt wurden sie trotzdem nicht, auch nicht ihr Weihnachtslied. Es lag wohl doch am Text: „Du ekliger Abschaum/Du Made/Du billige, lausige Tunte/ Steck dir Frohe Weihnachten in den Arsch/Ich bete zu Gott/Daß es unser letztes ist.“ Die neuen Pogues-Songs laufen unbeanstandet im Radio, und mittlerweile schreiben ernsthafte Zeitungen (wie 'Marxism Today‘, 'Hot Press‘ und die taz) ernsthafte Rezensionen über die Säufer aus London. McGowan ist das egal: „I just want the fucking money, man, that's all I want.“ Ralf Sotscheck

The Pogues: Hell's Ditch . Teldec 9031-72554-2, 1990

Die Pogues gehen Ende November auf Tournee: 21.11. Kaunitz, 22.11. Ludwigshafen, 23.11. München, 24.11. Stuttgart, 26.11. Berlin, 27.11. Hannover, 29.11. Offenbach, 30.11. Lichtenfeld, 1.12. Essen, 2.12.Oldenburg

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