Netzwerk gegen globalen Virus

Zweite Internationale Konferenz der unabhängigen Aids-Hilfsgruppen fand ohne Visazwänge in Paris statt  ■ Aus Paris Alexander Smoltczyk

Von der Welt-Aids-Konferenz in San Francisco waren sie durch die diskriminierenden US-Einreisegesetze ausgeschlossen worden — jetzt trafen sich die regierungsunabhängigen Aids-Organisationen in Paris. Vor der unwirklich-sterilen Kulisse des Büroviertels „La Défense“ begegneten sich 700 Delegierte aus 75 Ländern: positive Frauen aus Australien und Rotkreuzschwestern aus Guatemala, infizierte Junkies aus Houston und „Sex worker“ aus Großbritannien, Ärzte aus Uganda und Doktorinnen aus Warschau. „Bei all ihrer Verschiedenheit erkennen sich die Leute hier als Gattungswesen — dank des Virus“, resümierte ein Teilnehmer. Und so beschlossen die Gruppen gestern die Gründung des „International Council of Aids Service Organisations“ (ICASO). Wenn Aids wie keine andere Krankheit die Schwächen staatlicher Gesundheitssysteme aufgezeigt hat, dann haben die unabhängigen Gruppen „in ihrer Antwort auf die Virus-Epidemie eine Revolution im Gesundheitsbereich ausgelöst“, so Jonathan Mann, Direktor des International Aids Center. Die Sisyphusarbeit der Prävention vor Ort, der Pflege und Beratung unter ungünstigsten Bedingungen, der Kampf gegen Diskriminierungen und Doppelmoral werde zum allergrößten Teil von den NGOs geleistet und werde Konsequenzen auch für andere Gesundheitsbereiche haben: „Ein Jahrzehnt von Erfahrung mit Aids-Vorsorge und -Pflege hat deutlich gezeigt, daß die meisten neuen Ideen und Programme von den communities kamen und nicht von den Regierungen oder aus Elfenbeintürmen.“

Doch wenn auch die Realität des individuellen Sterbens in allen Ländern die gleiche ist, so zeigten die Berichte aus den Ländern Lateinamerikas und Afrikas die grundverschiedenen Realitäten des Lebens und Überlebens. Während die NGOs in den USA etwa um Zugang zu Forschungsergebnissen kämpfen, fehlt es in Zentralafrika, wo ganze Landstriche durch Aids entvölkert werden, schlicht an Seife und Desinfektionsmitteln. Vor allem HIV-positive Frauen werden von ihren Familien ausgeschlossen und zur Prostitution in den Städten gezwungen.

Dabei ist die Infizierung längst keine Angelegenheit einer „Risikogruppe“ mehr. Mary Kanene von der „Positive Action“ in Lusaka brachte ihren vierjährigen, ebenfalls HIV- positiven Sohn mit aufs Podium und berichtete, daß in Zambia in den nächsten Jahren 65.000 Kinder infiziert werden könnten. In Krankenhäusern seien oft bis zu 50 Prozent aller Betten mit Aids-PatientInnen belegt. Ein Vertreter aus Zimbabwe schilderte seine Versuche, die rund 30.000 traditionellen Heiler seines Landes in die Präventivarbeit mit einzubinden.

„Die extreme Verschiedenheit der Bedürfnislagen zwischen „Dritter Welt“ und Industrieländern macht einen Zusammenschluß wie ICASO schwierig. „Doch selbst als im wesentlichen papierene Vereinigung erleichtert es das Auftreten gegenüber Großorganisationen“, meinte Hans Hengelein von der Deutschen Aidshilfe zum Abschluß der Konferenz. Einen Erfahrungsaustausch dürfe man sich von der ICASO nicht erwarten. Dies sei bereits auf europäischer Ebene schon schwierig genug. So hatten die beiden größten Aids-Hilfegruppen Frankreichs die Konferenz boykottiert, weil sie der (regierungsnahen) Mitveranstalterin „France Sida“ politische Einflußnahme vorwerfen.