Polizei verhinderte Kundgebung vor Synagoge

■ 10.000 Menschen demonstrierten in Berlin friedlich zum Andenken an die Reichspogromnacht/ Dennoch kam es zu Polizeiübergriffen

Berlin (taz) — Linke Gruppen und Angehörige der autonomen Szene können durchaus friedlich demonstrieren: Die bundesweite Demonstration in Berlin gegen deutschen Nationalismus, Rassismus und Imperialismus sowie zur Erinnerung an die Reichspogromnacht am 9. November 1938 verlief am Sonnabend mit etwa 10.000 TeilnehmerInnen ohne größere Zwischenfälle. Dennoch wurden nach Angaben der Polizei 64 Personen im Vorfeld oder am Rande vorläufig festgenommen, mittlerweile jedoch alle wieder freigelassen. Die Demonstration unter dem Motto „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“, zu der etwa 150 Gruppen „links von den Grünen“ aufgerufen hatten, bildete den Auftakt einer Aktionswoche „gegen das Vergessen“.

Nach offiziellen Angaben waren 1.500 Beamte im Einsatz, um, wie ein Zugführer erklärte, „die Demonstration vor faschistischen Übergriffen zu schützen“. Was er damit meinte, zeigte sich wenige Minuten später: Ab der Ostberliner Straße „Unter den Linden“ liefen die mit Helmen, Schlagstöcken und Schilden ausgerüsteten Beamten über weite Strecken des Zuges Spalier. „Ihr seid doch immer die, die provozieren!“ rief ein empörter Bürger. Kommentar des Zugführers: „Wenn sich die Leute vermummen, ist das doch auch eine Form von Neofaschismus.“

Der vermeintliche „Schutz“ stellte sich spätestens in Höhe des französischen Doms als Farce heraus: Eine Polizeieinheit drang unvermittelt und schlagstockschwingend in den Demonstrationszug ein, mehrere Leute wurden gewaltsam herausgeschleift. Damit es nicht zu Auseinandersetzungen im ehemals jüdischen Viertel kommen konnte, zogen es die VeranstalterInnen vor, ihre Route kurzfristig zu ändern. Mitorganisatorin Miriam Lang bezeichnete das Verhalten der Polizei als „politischen Skandal“.

Durch die geänderte Route wurde eine Kundgebung vor der Synagoge, die am 9. November 1938 in Flammen aufging, verhindert. Dort wollten die Veranstalter an die Verbrechen der Nazidiktatur erinnern. „Als deutsche Linke“, so die jüdische Rednerin Maria Baader, „wollen wir zuallererst den deutschen Nationalismus bekämpfen, dessen Geschichte der Ausgrenzung unmittelbar mit dem Völkermord an europäischen Juden und zwei Weltkriegen verbunden ist.“ Auf Transparenten hieß es: „Deutschland muß sterben, damit wir leben können“ oder „Der Sozialismus ist tot und die Erde eine Scheibe“. Ein Münchner Bundeswehrsoldat nutzte die Demonstration, um in Pionieruniform „Bundeswehr zurück in die Grenzen von 1949“ zu fordern.

Bei der Abschlußkundgebung auf dem Alexanderplatz wiesen die RednerInnen darauf hin, daß sich in den letzten Monaten rassistische und faschistische Übergriffe gegen Emigranten und Linke gehäuft hätten. Sie protestierten gegen das Anfang nächsten Jahres in Kraft tretende neue Ausländergesetz und verlangten „gleiches Recht für alle“.

Am späten Sonnabend kam es im Berliner Stadtteil Kreuzberg dann doch noch zu Auseinandersetzungen zwischen rund 200 Angehörigen der autonomen Szene und der Polizei. Drei Leute wurden festgenommen, bei 35 weiteren die Personalien festgestellt. Martina Habersetzer