ArbeitertheaterMaximGorki:»AdamundEva«vonMichailBulgakow

EinbesonderesTheatervergnügen  ■ 
ADAM UND EVA UND DIE SPINNE

»Ich habe versucht, Ihnen abzusagen. Heute kommen nur 30 Zuschauer und die Schauspieler spielen einfach besser, wenn das Theater voll ist« - nichts ist peinlicher, als wenn eine Theaterchefin, wie in diesem Falle Hella Len vom Arbeitertheater Maxim Gorki aus Ostberlin, sich schon vor der Vorstellung entschuldigt. Es war nur der Auftakt weiterer Begebenheiten, die bezeichnenderweise auch die Theateraufführung auf's Beste charakterisierten.

Vor der Vorstellung war es unmöglich, aus ihren Fängen zu entkommen. Mit der Freundlichkeit einer hungrigen Spinne erklärte sie, daß ihr Theater hauptsächlich vor Schulklassen auftrete, wo der Aschenbecher und wo die Toiletten seien, und auf welchen Platz man sich zu setzen habe. Als die Saallichter erloschen, atmeten die 3-4 »normalen« Zuschauer auf, hinter sich 30 ca. 17-jährige Oberstufenschüler, deren Lautstärke in keinem Verhältnis zur Größe des Raumes stand. Doch nicht der Anfang von »Adam und Eva«, einem eher unbekannten Werk von Michail Bulgakow, war zu sehen, sondern erneut Hella Len, die unbedingt einige einleitende Worte an die Schulklasse richten mußte. Sie referierte den Inhalt in einer Art »Dutzi-Dutzi« - Kleinkindersprache und reichte noch ein paar biographische Details über den Autor dar, die in ihrer Plattheit diesen selbst sicher zum Weinen gebracht hätten. Verständlicherweise quittierten die gelangweilten Kids ihre Rede mit Zwischenrufen, Gelächter und was sonst noch so einem pubertierenden Jugendlichen als Störmaßnahme einfällt. Verständlich, aber doch taktisch falsch, denn Frau Len sah sich gezwungen, ihre Rede mehrmals zu unterbrechen, um darauf hinzuweisen, daß man sich hier nicht vor dem heimischen Fernseher befände.

Zu guter Letzt konnte die Vorstellung dann beginnen. Die Schauspieler befanden sich alle auf einer Qualitätsstufe, nämlich untalentiert und gelangweilt, die Regie war wie Frau Len selbst, vermieft und vermufft, das Stück ist gerechterweise unbekannt geblieben und hat mit den großen Werken Bulgakows nichts zu tun.

Die Schüler versuchten, auf ihre Weise etwas Leben in die Bude zu bringen, bauten lautstark neue Texte in das Stück ein, übernahmen selbsttätig die eine oder andere Rolle im Zuschauerraum, und die gänzlich Uninteressierten unterhielten sich bis zur Pause über die neueste Clearasil-Kollektion. Gegen Pausenende, als sich jeder wieder mehr oder weniger an seinem Platz befand, folgte die nächste Moralpredigt. »Wart ihr schon mal im Theater?« fragte die Spinne zwei Mädels, die durch besonders lautstarke Kreativitätsschübe aufgefallen waren. »Ja«, murmelten diese und etwas, was wohl »Galileo« heißen sollte. »Das merkt man aber nicht, eher hat man das Gefühl, ihr sitzt nur vor dem Fernseher«. Frau Len scheint irgendein traumatisches Erlebnis mit dieser Erfindung gehabt zu haben. Die beiden Kids jedenfalls ließen sich von der jammernden Moralschachtel nicht beeindrucken und krähten in der zweiten Hälfte begeisterter als zuvor.

Nach dem kümmerlichen Schlußapplaus wunderte man sich zwar nicht, daß Frau Len wieder zum Monologisieren bereitstand, doch sehr über die Anwesenheit zweier grünbejackter Ordnungshüter rechts und links von ihr. Aber nicht Frau Len galt dieses Aufgebot, sondern zwei Schülern, die in der Pause das dringende Bedürfnis verspürt hatten, gemeinschaftlich über einen Wartburg zu galoppieren, der wiederum seine Form nicht halten konnte. »Die Anzeige geht an eure Schule,« röhrte die Regisseurin mit vor Tränen kiloschwerer Stimme,« sowas kann ich nicht verstehen.«

Ich schon — nur, daß die Anzeige an die Schule geht und nicht an das Theater, das diese Verzweiflungstat erst möglich machte, ist mir unbegreiflich. Anja Poschen

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