Wir Kinder von Tütenbrook

■ Neu erschienen: Achimer Lesebuch „Land in Sicht“ / Keine Fata Morgana

Seit 1986 treffen sich in Achim, der Kleinstadt vor Bremens Grenzen, jeweils im Herbst ein Dutzend Autoren, um in Werkstattgesprächen über ihre Arbeit, über Anspruch und Wirklichkeit, Tendenzen und Veränderungen in der Literatur zu debattieren. Ein Ergebnis ist diese Anthologie: vielschichtig, was Themenwahl und Umsetzung anbelangt.

Natürlich dominiert die kleine Form, also Gedicht, Kurzprosa, Erzählung. Farbige Lithographien von Axel Knopp lockern das Buch auf. Neben persönlichen Befindlichkeiten und subjektiven Brechungen der Wirklichkeit ist die mehr oder minder

Dönkes von umzu

offene Auseinandersetzung mit Politik und deren Auswirkungen ein roter Faden. Auf der Themenliste stehen beispielsweise Tschernobyl, das Ausbildungssystem in der ehemaligen DDR (“Zermürbungsmaschinen“), der Verlust intakter Ökosphären, die Ausländerfeindlichkeit und der Identitätsverlust unter Exilanten.

Die Gedichte sind oft verknappte, bisweilen grelle Bilder, anklagend und voller rebellischem Verve. Selten leistet sich jemand Abstecher in versöhnlich stimmende Lyrismen. Ernsthaftigkeit und Aufklärungsimpetus überwiegen. Da fallen gelungene Versuche, den den Humor oder die sprachliche Überspitzung als Stilmittel einzusetzen, besonders auf. „Der Eispickel“ von Günter Demin ist eine schaurig-schöne Farce von durchdringender Komik. Gernhardt und Henscheid lassen grüßen (kein Plagiatvorwurf natürlich!). Auch die Geschichte der Leute von „Tütenbrook“, in der heimischen Geographie des Moores angesiedelt, verbindet skurrile Charaktere, halt Dönkes von umzu, mit aufklärerischen Elementen.

Zwar ist noch nicht alles Material, das feilgeboten wird, ausgereift, aber Land ist in Sicht. Keine Fata Morgana! Per Hansen

“Land in Sicht“, Achimer Lesebuch, Hg. Detlef Michelers, Edition Temmen, Bremen