Gezeichnete Negativ-Utopie

■ Gerald Pottertons Comic-Fantasy „Heavy Metal“, 22.50 Uhr. Pro 7

Die Tradition der reinen Abenteuer- Comicstrips reicht zurück bis zur Zeit der großen Depression 1917-29. Gezeichnete Welten (Tarzan, Buck Rogers) lagen zunächst nur den Tageszeitungen bei und erfreuten sich rasch großer Beliebtheit. Die Geschichte der seriösen Comic-Books, mit denen das Medium zur Kunstform avancierte, begann jedoch erst sehr viel später, und zwar mit einem Verbot. Comic- Künstler wie Stan Lee mußten sich in den 50ern vor dem McCarthy-Ausschuß für unamerikanische Umtriebe gegen Anwürfe rigider Erziehungsfanatiker verantworten, ihre Bildgeschichten seien gewaltverherrlichend. Weil ein Jugendlicher beim Nacheifern des Helden vom Planeten Krypton sich beim Flugversuch zu Tode gestürzt hatte, wurde sogar schon in den 40ern Joe Shusters und Jerry Siegels legendärer „Superman“ geächtet und erst dann wieder rehabilitiert, als man erkannte, daß die manigfaltigen Superkräfte des Stählernen sich positiv auf die Moral der Soldaten im Schützengraben auswirkte.

Gemäß dem Comic-Book-Code von 1954, einer freiwilligen Selbstzensur der Verlage gegen Obszönitäten, subversive Darstellung staatlicher Organe und lustvolle Gewaltausübung, schufen Stan Lee und Jack Kirby Ende der 50er für Marvel-Comics eine Legion altruistischer, superamerikanischer Mutanten, die unter der Führung von „Mr. Fantastic“ ein ums andere Mal für die freie Welt gegen die technifizierte Schreckensvision des „Doctor Doom“ ins Feld zogen.

Ende der 60er landete in San Francisko jedoch ein Raumschiff aus dem LSD-Orbit, gegen das die moralisch integeren Superhelden nichts mehr auszurichten wußten. Heraus stiegen u. a. Robert Crumb und Gilbert Shelton, die mit ihrer alternativ vertriebenen „Ripp Off Ripp Off-Press“ alle Hände voll zu tun hatten, das mittlerweile angestaute künstlerischee Tabu-Potential abzuarbeiten. Crumbs derbe, postapokalyptische Drogenvisionen und Sheltons „Freak Brothers“ stehen heute für zwanzig Jahre Underground-Comic-Tradition.

Die posturbanen Welten des Zeichners Möbius, 1981 unter der Regie von Gerald Potterton auf die Leinbwand übertragen, gelten als Inbegriff der Negativ-Utopie einer heruntergekommenen Zivilisation. Mensch-Sein, kaum unterscheidbar vom Ornament des High-Tech, reduziert sich auf archaische Reflexe. Während in den düsteren Gegenwelten des amerikanischen Magazins Heavy Metal das obszöne Gemetzel zum Standard gehört, ist bei der Übetragung einiger dieser Phantasien auf Zelluloid wieder ein gewisses Zögern zu beobachten. Die Rahmenhandlung, für die u.a. Routinier Dan O'Bannon verantwortlich zeichnet, bettet den kultivierten Ausbruch negativer Energien wieder in den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse ein.

Der Lock-Nahr, ein grüner Kristall, der alle dazu bringt, sich wegen nix den Schädel einzuschalgen, sieht seine Macht bedroht. Und zwar durch ein unschuldiges Mädchen... In sechs düsteren Episoden zeigt er ihr die verführerische Macht des Bösen, bzw. wo der metaphorische Hammer hängt. Ein abseitiger Kitsch-Trip, von Black Sabbath, Grand Funk, Nazareth und Devo musikalisch untermalt, dessen Genuß eine ausgelassene Heiterkeit und eine Bereitschaft zum „Üppigen“ voraussetzt. Wie sagte die Vollbusige in Roger Rabbit: „Ich bin nicht schlecht. Ich bin nur so gezeichnet.“ Manfred Riepe