JOHN ASHBERY

John Ashbery sollte 1988 drei Monate nach Berlin kommen. Die Einladung war ausgesprochen und angenommen, die Wohnung gerichtet. Aber dann kam ein Brief, in dem Ashbery von seinen Reiseplänen Abstand nahm. Er schrieb, ganz könne er das selbst nicht verstehen, sei er doch einer jener Amerikaner, die den USA den Rücken gekehrt hatten. Er habe immerhin zehn Jahre (1955 bis 1965) in Paris gelebt, gehöre also zu einer Art von zweiter „Lost Generation“ und hänge nach wie vor an Europa. Doch sei er reiseunlustig geworden, fühle sich an seinen Schreibtisch im Chelsea-Viertel von New York und an seinen Garten in einem Haus am oberen Hudson gebunden.

Diese Geschichte spiegelt in etwa auch die poetische Entwicklung des 1927 in Rochester geborenen Dichters wieder. 1950 trat er, begleitet von seinen Freunden Frank O'Hara und Kenneth Koch, als wilder junger Mann auf den Feten der Maler der New York School auf und debütierte mit provozierenden, antiliteratischen Gedichten in den Bänden The Tennis Court Oath (Der Schwur im Ballhaus) und Rivers and Mountains (Flüsse und Berge). So wie Kitaj und Larry Rivers, seine Malerfreunde, Reproduktionen, Pappe, Plexiglas und gemalte Teile in einem Bild aneinandersetzten, so gab es bei Ashbery in diesen frühen Gedichten ein Nebeneinander von Wort gegen Wort, von Alltagsslang und erhabener Sprache, von Versatzstücken unserer normierten Denkungsweise und traditionsbefrachteten Metaphern. Diese Gedichte waren frisch collagiert, experimentell, überraschend. In den späteren Gedichten — ab dem Band The Double Dream of Spring (Zweifacher Traum vom Frühling, 1975) — läßt die Zergliederung der Sprache, das sehr bewußte dérèglement nach, Zusammenhänge stellen sich her, lange Meditationen über Zeit und Illusion und Wirklichkeit. Der Bezug zur Walt Whitman, zu Wallace Stevens, mit fernen Echos von Wordsworth und Shelley, wird deutlicher. Joachim Sartorius

„Selected Poems“, Viking, 1986 (als Taschenbuch bei Paladin, London, 1987)

Übersetzungen: „Selbstporträt im konvexen Spiegel“, Gedichte 1856 — 1977, Hanser, 1978, und „Eine Welle“, Gedichte 1979 — 1987, Hanser, Edition Akzente, 1988. Aus dem Amerikanischen von Joachim Sartorius.