RETTET DIE ÜBERHOLSPUR! VONMATHIASBRÖCKERS

Also die Idee ist ganz einfach: Wir nehmen irgendeinen Luxusschlitten — einen BMW, Ferrari-rot, mit allen lieferbaren Extras, oder einen Mercedes — ein nagelneues Auto, bei dem noch das Preisschild des Händlers im Fenster hängt, mindestens 50.000, besser 100.000 Mark. Dann müssen wir nur noch einen Standplatz am Alex anmelden und eine hydraulische Presse besorgen. Die Presse muß möglichst geräuschlos arbeiten, stufenlos einstellbar sein und, das ist das wichtigste, mit Solarstrom betrieben werden können. Die Solar-Panels werden in Pyramidenform aufgestellt und oben, auf einer Plattform thront die Presse mit dem Auto. Und dann kann es losgehen. Am Anfang wird noch nicht viel zu sehen sein, bevor die Sonnen- Pyramide genug Licht eingefangen hat, um den Anfangswiderstand des Autos zu überwinden, tut sich gar nichts. Bis die Stoßstange zum ersten Mal hörbar knackt, werden einige Stunden vergehen — dann aber, in den folgenden Tagen, wird immer häufiger das Ächzen und Stöhnen der Karosserie zu hören sein. Die Aktion dauert so lange, bis das Auto auf sagen wir zwei Meter zusammengequetscht ist — je nach Bewölkung einige Tage, vielleicht eine Woche. Es kann eigentlich gar nicht langsam genug gehen — eine grausame, quälende Hinrichtung, Millimeter für Millimeter. Das einzige Problem ist die Sicherheit: Wie halten wir das Publikum davon ab, die Hinrichtungsmaschinerie zu zerstören oder das Auto zu befreien? Vielleicht sollten wir noch eine Schauspielertruppe engagieren, die mit Kampfanzügen, Plastik-Schilden und Knüppeln rund um die Uhr Dienst schiebt. Einfach nur ein Absperrgitter aufzustellen, wird nicht viel helfen — die Leute werden, vor allem an Anfang, wenn das Auto noch wie neu aussieht, wütend werden, manche vielleicht auf die Idee kommen, sich das Radio oder die Alu-Felgen auszubauen. Mit Aggressionen jeder Art muß gerechnet werden — das Ganze wäre ein Reinfall, wenn sie ausblieben, aber da können wir, mitten auf dem Alex und mit einem rattenscharfen Luxusschlitten ganz sicher sein: die Leute werden wahnsinnig. Und dann ...“

„... Dann teilen wir Flugblätter aus gegen das Auto als Umweltfeind Nr.1 und mit der Aufforderung, Busse und Bahnen zu benutzen. Nee, nee nee, so geht das nicht, das ist mir zu plump ...“

„... Wer sagt denn was von Flugblättern. Wir teilen Autoprospekte aus, die neuesten Hochglanzbroschüren von Daimler, Opel, Porsche, inklusive Preislisten, Bestellformularen, Kreditverträgen.“

„Das macht das Ganze auch nicht viel besser. Es bleibt auf der dumpfen Provokationsebene stecken. Du beleidigst ihren Gott — und das macht sie erst richtig scharf. Niemand wird seinen Traum vom Luxusauto begraben, nur weil du vor seiner Nase eines kaputt machst. Da ist ja fast die Jahrmarktsidee, drei Schläge mit dem Vorschlaghammer für eine Mark, noch besser — da fließt wenigstens was ab, vom allgemeinen Aggressionsstau, und rein in einen alten Kadett. Du aber machst aus einem nagelneuen Gebrauchsgegenstand einen Haufen Sondermüll ...“

„... Wenn wir es nicht machen, macht es ein anderer Käufer, nur daß er sich nicht ein paar Tage, sondern ein paar Jahre Zeit läßt und zwischenzeitlich noch 10.000 Liter Benzin verheizt. Insofern ist die Aktion immer noch höchst ökologisch: Wir verschrotten das Auto direkt nach dem Kauf, schonen die Umwelt und lassen der Autoindustrie eine Gnadenfrist, sich auf andere Produkte umzustellen. Über kurz oder lang werden wir ohnehin nicht umhinkommen, ihnen die Autos abzukaufen, um sie sofort dem Recycling zuzuführen. So wie die überzähligen Landwirte ja auch nicht einfach erschossen, sondern aus ihren Produkten Butterberge angelegt werden, muß auch der Autoindustrie übern Berg geholfen werden — mit Subventionen wie dieser. Das Jahrhundert der Benzinkutsche ist definitiv zu Ende — das macht diese Aktion klar. Stell dir vor, so etwas findet in jeder Stadt statt: die Prachtstücke werden poliert, gewichst und gewienert und dann langsam hingerichtet ... Auf die perverseste Art und Weise. Man könnte einen solar-elektrischen Stuhl bauen, auf dem die Karre langsam, aber sicher verkokelt ...

„Es ist und bleibt das alte Anti-Ding, Destruktion zu konstruktiven Zwecken, undialektisch. Wenn du etwas erreichen willst, mußt du affirmativ vorgehen, nicht arrogant, indem du ihr liebstes Kind mißhandelst ...“

„Das heißt also, gleich noch einen Verein gegen die mutwillige Zerstörung von Autos gründen, der diese Aktion zum Anlaß nimmt und eine Mahnwache einrichtet, eine UNO-Charta zum Schutz der Autowürde, und der das Menschenrecht auf Parkplätze einfordert?“

„So ungefähr. Was wir brauchen, ist ein neuer Autoverein, ein Club, der sich zum ADAC verhält wie die Reps zur CDU. Fundamentalistisch, radikal auto-nom und auto-mobil, mit Forderungen wie „Helmpflicht für Fußgänger und Radfahrer“, „Rettet die Überholspur“ usw. — dieser Verein veranstaltet eine große Jubelparade für das Auto. Mit den 100.000 Mark, die du für deine Verschrottungsaktion brauchst, ließe sich da schon einiges organisieren. Pressekonferenzen, Medienrummel und natürlich einen 1a-Demo-Korso, der den ganzen Autofaschismus auf die Spitze treibt und dabei auch Fußgängerzonen zurückerobert.“

„Aber das verstehen die DDRler nicht. Die werden in Massen eintreten in diesen Verein, sie werden die Fußgängerzonen freiwillig räumen, wenn dein Demo-Korso vorbeikommt, und begeistert winken. Der Autowahn dort ist völlig ungebrochen, da ist nichts mit subtiler Affirmation, da hilft nur der Holzhammer: Die Schrott- Presse als Fanal — die Kraft der Sonne, die den stinkenden Helden des 20. Jahrhunderts auf den Schrottplatz der Geschichte befördert. Millimeter für Millimeter.“

„Brüder zur Sonne, zur Freiheit? ... Aber zu Fuß geht da doch kein Mensch mit!“

„Wer weiter auf Benzin abfährt, macht sich fortgesetzter Golf-Kriegsverbrechen, globaler Klimavergewaltigung und und und schuldig ...“

„Na und. Du kennst doch unsere Berliner: Lieba schlecht jefahrn als jut jeloofen.“

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