Nicht stehenbleiben, Füße hoch!

Die Trial-Fahrer stolpern über Stock und Stein — solange es vorwärts geht, ist das nicht so schlimm In der Nähe Berlins hoppelten 26 Motorräder um den „Novemberpokal“ von Woltersdorf  ■ Von Hagen Boßdorf

Woltersdorf (taz) — „Muß ich da wirklich runterfahren?“, fragt ernsthaft besorgt der Fahrer mit der Nummer 10 und blickt respektvoll den mit Wurzeln und Baumstämmen angereicherten Hang hinunter. „Na klar“, fordert der Streckenposten, „kneifen steht nicht im Reglement.“ Karl-Heinz Fleuren, einer von vier ADAC-Fahrern, macht sich auf den holprigen Weg der 9. Sektion. Umsonst. Er kassiert fünf Strafpunkte. Mehr gibt es nicht. „Siehste“, gibt er dem Streckenposten die Schuld, „ich wollte ja nicht. Muß ja schließlich morgen wieder arbeiten.“

Das ist Trial. Eine Geschicklichkeitsprüfung für Motorradfahrer in schwierigem Gelände, bei der die Fahrer mit möglichst wenigen Strafpunkten zehn Sektionen je dreimal bewältigen müssen. Strafpunkte gibt es fürs Abstützen mit den Füßen am Boden („füßeln“), fürs Absteigen, Ausrutschen und Abwürgen (des Motors!). Einmal füßeln gibt einen Strafpunkt, zweimal gibt zwei, dreimal drei und wer noch öfter Boden unter den Füßen braucht, bekommt fünf „Miese“ ins Fahrtenbuch. So einfach und so kompliziert.

In Woltersdorf (25 Kilometer östlich von Berlin) veranstalten Trial- Enthusiasten seit 25 Jahren zwischen märkischen Seen und Wäldern ihren „Novemberpokal“. 26 Fahrer folgten zum Jubiläum ihrem einladenden Ruf, obwohl die sozialistischen Stammgäste aus der CSFR als Sieger der letzten sechs Jahre nicht anreisten. Woltersdorf ist neuerdings eine West-Reise für sie und damit zu teuer.

Übrig blieben 26 Trialer aus Dänemark, Polen und deutschen Vereinen, die zu Hauptakteuren einer bemerkenswert gut organisierten Veranstaltung wurden. Da es von den Betrieben keine Freistellung mehr für die freiwilligen Helfer gab, fand das Rennen erstmals am Sonntag statt. Den Tag davor brauchte man nämlich, um 20 Tonnen Gesteinsbrocken, die in einem nahegelegenen Tagebau gekauft wurden, in die einzelnen Sektionen zu schleppen. Zum Kummer der traditionellen Trial- Fans werden die Holperstrecken immer mehr aus der Natur verbannt. Zwischen den einzelnen Sektionen rasen die piff-paffenden Maschinen teilweise quer durch die Wälder, und am nächsten Tag werden sich wohl die Wildschweine wundern, wer in ihrem Revier gesuhlt hat.

Inzwischen haben sich die Umweltschützer der Region zu Wort gemeldet, was den Auspuff-Fetischisten so gar nicht in den Kopf will. Trotzdem mußten sie auf einige, ihnen in den letzten Jahren so sehr an Herz gewachsene Streckenabschnitte verzichten. Übrig blieb die eingangs beschriebene Sektion „Am Wasserturm“, ein Steilhang mitten im Wald, der den Fahrern mächtiges Kopfzerbrechen und den Motorrädern manch hoffnungslosen Ausrutscher bescherte. Auf ihren Maschinen stehend versuchen sie dann — zwischen tänzeln und schleichen — der Hindernisse Herr zu werden. Was letztlich den wenigsten gelingt.

Dabei haben die Gleichgewichtskünstler genügend Zeit, vor dem Durchfahren die Sektion „zu lesen“. Dann gehen sie Zentimeter für Zentimeter die Strecke ab, um den einzig machbaren Pfad zwischen Geröll und Wurzelgeflecht zu erkunden. Das verzögert natürlich das ganze Spektakel erheblich und veranlaßte eine Zuschauerin zu dem verständlich ungeduldigen Hinweis: „Meine Güte, einfach zack und durch!“ Worauf ihr besonnener Gatte sie rüffelte, „Fahr du erstmal unser Auto ohne Schrammen in die Garage.“ So vergnügt sich das Publikum am Rande des Geschehens und wenn's dann endlich losgeht, geiern sie auf den nächsten Crash, der ganz bestimmt kommt.

Zum Beispiel bei der hinterhältig angelegten und vollkommen undiskutablen Sektion 7: Zunächst sind ungefähr anderthalb Meter hohe Gesteinsbrocken zu erklettern , um dann — einem Hürdenläufer gleich — über vier quergelegte Bohlen zu trippeln. Keine Chance. Als sich hintereinander mehrere Maschinchen in den Blöcken verkeilten, verlangte der schniefende Streckenposten nach einem Autokran, der ihn an diesem Tag aber nicht mehr von seinem Los erlösen würde. Völlig verständlich, daß der arme Mann bei dieser Belastung auch die Übersicht verlor und nach einer Durchfahrt fragte, wie oft denn der Fahrer nun den Boden berührt hätte. „Frag ihn doch selbst!“ war die Antwort, die das Ergebnis des Rennens in ein zweifelhaftes Licht rückt.

Das ist den Zuschauern sowieso egal, da sie das Renngeschehen ohnehin nicht verfolgen können. Sie interessiert das faszinierende Detail, die waghalsige Bewältigung hinterlistiger Hindernisse, die sie dann zu Hause mit ihrem Mountain-Bike im Buddelkasten nacherleben können.

Ihr Vorbild dabei kann der Thalheimer Jörg Stephan werden, der nur 31 mal gefüßelt hat, den „Novemberpokal 1990“ gewann und den Rekordmeister der DDR, Frank Böttcher aus Karl-Marx-Stadt auf den zweiten Platz verwies. Zusammenfassend kann man nur sagen, daß es der Trial-Fahrer ewiges Los bleiben wird, daß sie von den meisten Mitmenschen nicht so richtig ernst genommen werden. Die sehen Trial nämlich in des englischen Wortes Ursprung: Es ist halt nur ein Versuch.