„Holt Euch das Geld, wenn Ihr könnt!“

Griechenland hat Wiedergutmachungsansprüche von mehreren Milliarden Dollar an die Deutschen  ■ Aus Athen Robert Stadler

„Mit Nachdruck“ will Griechenland Reparationen von der deutschen Regierung fordern. Der griechische Außenminister Samaras bezifferte am Freitag vor dem Parlament in Athen die Höhe der Schäden aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg auf circa 7,5 Milliarden Dollar; das entspricht einer heutigen Kaufkraft von circa 30 Milliarden Dollar. Im Bundesfinanzministerium war kürzlich auf Nachfrage zum Thema Reparationsleistungen allgemeiner Zweifel zu vernehmen,„ob dies noch sehr sinnvoll ist“.

Griechenland hat mit der offiziellen Verlautbarung eine andere Haltung eingenommen als etwa Finnland, wo erst kürzlich Außenminister Paasio gegenüber dem Parlament erklärt hatte, man werde auf eine Wiedergutmachung der von Deutschen verursachten Kriegsschäden in Lappland verzichten, weil „Finnland daraus eher ein Nachteil erwachsen würde.“ Finnland hatte seinen Verzicht mit der Haltung von Ländern in ähnlicher Situation wie Norwegen, Dänemark, Belgien und den Niederlanden begründet.

Unklar ist einstweilen, ob Griechenland auch erneut die Rückzahlung von Kreditschulden anmahnen wird. Wegen „zusätzlicher Besatzungskosten“ nahm vor 48 Jahren das „Dritte Reich“ bei der griechischen Nationalbank einen Kredit auf. Im Rahmen der Versuche, die Frage der NS-Kredite zu klären, schickte 1964 der damalige Ministerpräsident Georgos Papandreou seinen Sohn Andreas nach Bonn, um bei Bundeskanzler Ludwig Ehrhard die Zahlungswilligkeit der Deutschen zu erkunden. Die Antwort war: „Ihr bekommt das Geld nach der deutschen Vereinigung.“

Im April dieses Jahres verkündete Ministerpräsident Mitsotakis angesichts des nahenden historischen Ereignisses in seiner Regierungserklärung: „Griechenland wird, so wie auch andere Staaten, die entsprechende Entschädigung für Zerstörungen, die ihm zugefügt wurden, verlangen; vor allem aber die Kredite, die wir in jener Zeit nolens volens vergeben haben.“

Im Laufe der Jahre hat sich nach Berechnungen des Ex-Ministers und Wirtschaftsprofessors Angelopoulos bis heute eine Schuld von mindestens 20 Milliarden Mark angehäuft. Angelopoulos hatte in den 60er Jahren von den Deutschen die Zusage erhalten, „daß die Ansprüche Griechenlands auf die Kredite existieren.“ Die BRD weigerte sich aber, dieses Thema vor Abschluß eines Friedensvertrages zu behandeln.

Nach einer Studie des Politologen Koutsomitopoulos, veröffentlicht in der Athener Tageszeitung 'Eleftherotypia‘, hat sich Westdeutschland im „Londoner Schuldenabkommen“ von 1953 jedoch verpflichtet, die Kreditschulden des Dritten Reiches zu begleichen; und dies unabhängig von den Reparationen, die immer an einen Friedensvertrag gebunden waren. Eine Möglichkeit, die NS-Kredite zurückgezahlt zu bekommen, sieht Wirtschaftsprofessor Angelopoulos in einem separaten Friedensvertrag mit Deutschland.

Ob die amtierende konservative Regierung die NS-Kredite ebenso offiziell anmahnen wird wie die Reparationen, darüber darf spekuliert werden. Trotz der klaren Aussage von Mitsotakis in seiner Regierungserklärung kam wenig später der Rückzieher: „Wenn die Menschheit die deutsche Frage ohne die Unterzeichnung eines Friedensvertrages lösen will — die Voraussetzung für unsere Forderungen nach Reparationen ist — wird Griechenland den Fluß der Welt nicht ändern.“ Es scheint, als hätte sich Mitsotakis die Sichtweise eines seiner Parteigenossen zueigen gemacht; der rief schon 1976 der Opposition im Parlament zu, als sie die „NS-Kreditfrage“ aufwarf: „Holt ihr euch doch das Geld, wenn Ihr könnt.“