Lafontaine ist nicht (nur) von Pappe

■ Ein Tag im Leben des Kanzlerkandidaten: Oskar übertrifft seine eigene Pappfigur

Bonn (taz) — In der Bonner Journalisten-Kneipe Mierscheid sitzt überlebensgroß im grün-lila getupften Jackett: Oskar Lafontaine als Pappfigur. Gestern endlich kam zur Freude der Wirtin das Original vorbei, sein Ebenbild zu begrüßen. Mit dem typisch-schüchternen Lächeln, das wir an ihm so lieben, reichte Lafontaine seinem Pappbruder ein Glas Elbling (auch die Wein-Flasche zierte übrigens das Konterfei des Kanzlerkandidaten). Oskar mokierte sich über die Nase des Pappkameraden — „die ist zu groß geraten“ — und rüffelte ein wenig seine Journalisten- Freunde: „Ihr seid alle zu umfragenhörig. Ich bin das nicht.“ Der Kandidat gab sich alle Mühe, gute Laune und Optimismus zu verbreiten.

Dabei hat er an diesem Montag nachmittag bereits einige unangenehme Termine erledigt. Da taz-Redakteurinnen leider nicht die Gabe besitzen, an mehreren Orten gleichzeitig aufzutauchen (Wie macht er das nur, der Kandidat?) wissen wir nichts genaueres über die Eröffnung der Graphik-Ausstellung „Für Oskar“ in der SPD- Zentrale. Sicher fand Lafontaine lobende Worte für alle Künstler, die ihm mit dem Bleistift huldigten, und besonders für seinen Freund Klaus Staeck und dessen altmodische Agit-Prop Plakate.

Zur selben Zeit hatte im Saal der SPD-Bundestagsfraktion bereits die Konferenz der Betriebs- und Personalräte begonnen. Hauptredner: Oskar Lafontaine. Der Kandidat spulte seine inzwischen leidlich bekannten Wahlkampfsprüche herunter: „...und darf es nicht die breite Mehrheit der Bevölkerung sein, die die Opfer für die Einheit bringt.“ Dann ging es zur Sache: Warum die SPD immer noch kein Konzept für die Kieler Werften ausgearbeitet habe, fragte ein Betriebsrat bei den Howaldtswerken. Einer aus Hessen beklagte, den Rentenkompromiß zwischen der SPD und der Bundesregierung könne er seinen Kollegen nicht verklickern: „Die Schichtarbeiter sehen nicht ein, daß sie bis 65 arbeiten sollen.“

Oskar Lafontaine ging kaum auf die Kritik der Kollegen ein. Es sei kein Wunder, daß viele in der ehemaligen DDR jetzt schwarz wählten, denn „wer jahrelang mit Sozialismus traktiert worden ist, der tendiert dann oft in die andere Richtung.“ Jetzt sei die Grundstimmung für soziale, mithin SPD-Themen da. „Bitte sorgt mit dafür, daß diese Stimmung an die Oberfläche kommt,“ rief er den Gewerkschaftern zu. Dann rauschte er aus dem Saal. In der SPD-Zentrale warteten bereits die JournalistInnen auf seine nächste Pressekonferenz (Thema: Sozialdemokratische Kommunalpolitik).

Ein Betriebsrat aus Bielefeld fand Oskars Auftritt allerdings gar nicht witzig. „Schade, daß er jetzt nicht mehr hier ist,“ beklagte er. Mit dem Progamm der SPD könne er jedenfalles keinen Wahlkampf machen: „Ich kann es selbst nicht einsehen, daß ich als arbeitender Mensch noch mehr Geld für den Sprit zahlen soll.“

Der Kandidat war leider schon abgedüst. Tina Stadlmayer