Israel erwartet Krieg — in naher Zukunft

■ Militärstrategen in Tel Aviv sind sich sicher: Die USA planen einen Krieg gegen Irak noch für November

US-Außenminister James Baker zieht eine „militärische Option“ durchaus in Betracht, wenn die diplomatischen Bemühungen um eine Lösung der Golfkrise und die wirtschaftlichen Sanktionen gegen den Irak nicht fruchten. Das sagte Baker am Sonntag während eines Besuchs bei der Truppe im Krisengebiet. Er bemühe sich zwar weiterhin, die „Grundlagen für Maßnahmen zu schaffen, mit denen der Druck auf Irak verstärkt werden“ könne. Jedoch sei ein „militärischer Schlag jederzeit denkbar“.

Israels Militärspezialisten sagen indes den Krieg am Golf voraus. Experten in Tel Aviv behaupten, US- Präsident Bush habe eine Entscheidung zugunsten einer militärischen Option „entweder schon gefaßt oder ist gerade dabei, den Zeitpunkt festzulegen“. Dabei gebe es zwei strategische Ziele: die Zurückdrängung Iraks aus Kuwait und die „Neutralisierung“ des Einflusses von Saddam Hussein im Nahen Osten — durch eine wesentliche Reduzierung des irakischen Militärapparates sowie der nuklearen Option Saddams.

Nicht nur die Lage am Golf, so Israels Militärstrategen, mache eine beschleunigte Kriegsführung erforderlich, sondern auch der zunehmende Einfluß derjenigen politischen Kreise in den USA, die eine politische Lösung des Konflikts fordern. Es bestehe für Washington auch die Gefahr, daß die internationale Koalition, die Bushs Politik unterstützt, auseinanderfällt, wenn es nicht bald zum Krieg kommt.

Die gegenwärtige Reise Bakers dient nach Meinung der israelischen Regierung vor allem dazu, die Anti- Saddam-Koalition für den Krieg zu konsolidieren. Der Kommentator der Zeitung 'Chadashot‘, Alex Fischmann, behauptet in der gestrigen Ausgabe, daß alle Weichen auf Krieg — und zwar in naher Zukunft — gestellt sind. Die politischen Initiativen, so Fischmann, seien gescheitert, und die politische Konstellation in den USA selbst verlange „Krieg jetzt oder nie“. Und die Wahrscheinlichkeit, daß Israel mitmacht, wenn die USA tatsächlich einen Krieg beginnen, werde von Tag zu Tag größer, beschließt Fischmann seine Einschätzung der Lage.

Nach Ansicht des Chefs des Strategischen Istituts der Universität von Tel Aviv, Res. General Aharon Jariv, wird der Krieg nicht beginnen, bevor die zusätzlichen Nachschubeinheiten den Golf erreicht haben — das heißt nicht vor Ende Dezember (im Januar ist das Wetter zu schlecht, was die Amerikaner stört und den Irakis zugute kommt). Alles hänge vom Stand des militärischen Aufmarsches und sonstiger Kriegsvorbereitungen der Amerikaner ab. Auch andere Mitglieder des Instituts sind der Meinung, daß der Angriff innerhalb der nächsten zwei Monate erfolgen sollte: „Sonst müßte alles neu eingefädelt werden.“ So teilen Israels Militärexperten die Ansicht, daß der optimale Zeitpunkt für einen Schlag gegen Irak im November/Dezember wäre; und der dürfe nicht versäumt werden, wenn die USA die Kontrolle in dieser Region nicht verlieren wollten: „Washington kann keine solch umfangreichen Vorbereitungen mit internationaler Unterstützung machen und dann einfach nach Hause gehen.“

Darüber hinaus besteht nach Auffassung der Militärstrategen auch die Möglichkeit, daß die arabischen Staaten, die sich an der von den USA initiierten Anti-Saddam-Koalition beteiligen, die Geduld verlieren und selbst eine Provokation inszenieren. Und das würde die USA und Irak geradezu in den Krieg zwingen. Amos Wollin, Tel Aviv