Was bleibt: Nabelschau und Identitätssuche

■ Podiumsdiskussion der Grünen zur Lage der Linken / „Offenheit und Bewußtmachung des Nichtwissens“

Ralf Fücks, Grüner Bundestagskandidat, sollte recht behalten mit seinem Vorwort: „Wo so viele ‘Ehemalige' an einem Ort versammelt sind, läuft das notwendigerweise auf Nabelschau, Identitätsfindung und hoffentlich auch auf die Entwicklung von Zukunftsperspektiven hinaus.“ Letzteres allerdings weniger. Zur Frage „What is left? Die Linke zwischen Baum und Borke“ hatte der Grüne Landesverband die „Ehemaligen“ Adrienne Goehler (Ex-Grüne), Katja Barloschky (Ex-DKP), Joscha Schmierer (Ex-KBW), Nico Diemer (immer noch KB) sowie Ralf Fücks (Ex- KBW und immer noch Grüne) gebeten. Der Kultursaal der Angestelltenkammer reichte am Montag abend kaum aus, um all die zu fassen, die diese Frage hinterm Ofen vorlockte.

Ausgiebig Gelegenheit zur Nabelschau bot die erste Podiumsrunde, traditionell eher knackigen politischen Statements vorbehalten. Dagegen setzt „die Linke“ auf der Suche nach sich selbst die Entdeckung des in den verschiedenen marxistischen Kaderparteien so lange vernachlässigten „subjektiven Faktors“. Warum wurde ich links? Warum bin ich es noch oder nicht mehr? Elternhaus, Religionszugehörigkeit, Lokalpatriotismus/Regionalismus (Adrienne Goehler: Südbadische Fraktion des SDS, Joscha Schmierer: nordbadische Fraktion), das „Glück“, das Nico Diemer in die Arme des „schwarzen Flügels des SDS“ und der „Zufall“, der Adrienne Goehler knapp an der RAF vorbeiführte, wurden beschworen als gute oder schlechte Geister an dem einen oder anderen Kreuzweg. Auch wenn der Blick auf die individuelle Geschichte noch kein Licht am Ende des Tunnels sichtbar machte, schien er einem allgemeinen Bedürfnis zu entsprechen.

Mit relativ heiler Haut - trotz immer wieder betonter „Brüche“ - kamen bei der Selbstbilanz Adrienne Goehler und Nico Diemer davon. Goehler war aus der „Marxistisch-Reichistischen- Initiative“ (MRI) schon frühzeitig wegen „Antiautoritärem Verhalten“ ausgeschlossen worden. Diemer hatte nie einer zentralistisch strukturierten Partei angehört, sondern sich kontinuierlich auf die theoretische Arbeit im KB beschränkt, was ihm aus dem Publikum den Vorwurf des bloßen „kritischen Kritikers“ eintrug.

Schon leicht abgeklärt präsentierte sich der „Methusalem“ der Runde, Joscha Schmierer (48). Seit 1983 unorganisiert, habe er den Zusammenbruch der sozialistischen Utopie durch die Ereignisse in Osteuropa und in China als „nicht so traumatisch“ erlebt.

Katja Barloschky beschrieb ihre langjährige Loyalität gegenüber der DKP mit den Worten Christa Wolfs („Was bleibt“) als „beschämendes Bedürfnis, mich mit allen gutzustellen“ und dem selbstverordneten Zwang „zu funktionieren“.

Den alten grünen Slogan „Nicht rechts, nicht links, sondern vorn“ versuchte Ralf Fücks neu zu beleben, wobei er „vorn“ durch „quer“ ersetzte. Er untermauerte nochmal seine Forderung nach „Abkoppelung“ des „Projektes Grün“ vom „Projekt Sozialismus“ und proklamierte das „Ende des Sozialismus als politischer Leitidee in Europa“, den Abschied von gesellschaftlichen „Globalalternativen“ überhaupt sowie den Ausstieg aus „der Falle des Rechts-Links-Dualismus“. Man dürfe nicht am „Linkssein“ festhalten aus Angst vor dem „Rechtswerden“. Fücks bekannte sich zum Pluralismus, zum Parlamentarismus, zu seiner Identität als Deutscher. Seine Zukunkftsvision: Ökologie (und Feminismus) „als radikalere gesellschaftliche Herausforderung als es der Sozialismus jemals war“, getragen von einer „großen Mitte“, entstanden in einem „Schmelztiegel“ vieler Strömungen weit über die Linke hinaus.

Fücks Absage an jegliche „linke“ Identität fand Unterstützung bei Katja Barloschky („nicht nur desavouiert, sondern denkhemmend“), der Rest des Podiums mochte davon jedoch nicht lassen. Adrienne Goehler wollte den Begriff „Links“ der für sie immer ein Synonym für „antiautoritär“ gewesen sei, „nicht der PDS überlassen“. Nico Diemer kritisierte Fücks „Aufforderung zum Abschwören“ als erneuten Versuch zur Polarisierung. Er sieht „im kritischen Marxismus nach wie vor ein Instrumentarium, um diese verrückte Gesellschaft zu verstehen.“ Auch aus dem Publikum wurde dem Grünen Bundestagskandidaten „Hermetismus“ vorgeworfen. „Wir brauchen ein Stück Offenheit und Bewußtmachung des Nichtwissens“, forderte eine Diskutantin unter Beifall. Ebenso Adrienne Goehler: Man müsse die faktische Ohnmacht der Linken zur Kenntnis nehmen und beschreiben, statt sie in Macht umdeuten zu wollen, meinte die südbadische Feministin. Erst dann könne man nach Konsequenzen suchen. Die müßten bestimmt sein von unterschiedlichen Zugängen und Erfahrungen der Individuen. Und auch Nico Diemer schrieb der heimatlosen Linken ins Stammbuch: „Vielfältigkeit und Differenziertheit“. Annemarie Struß-von Poellnitz