Die Pranke des Papiertigers

■ Bernard-Marie Koltès' „Kampf des Negers und der Hunde“ in Mannheim

Joseph Conrads Erzählungen, Ende des letzten Jahrhunderts geschrieben, spielen in einer düsteren Busch-Atmosphäre, die europäischen Händlern und Ingenieuren so zusetzt, daß sie verwahrlosen. Auf dem „Vorposten der Zivilisation“ — so der ironische Titel einer seiner Geschichten — sind es zwei, ein Chef und sein Untergebener, die sich mit Whiskey retten wollen. Bernard- Marie Koltès kannte diese Geschichte, als er eines seiner ersten Theaterstücke, „Kampf des Negers und der Hunde“, schrieb, und sie beeindruckte ihn: Conrads Urwald und die gestrandeten Eroberer, denen das Geräusch des Waldes an die Nieren geht, während der Alkohol ihre Leber zerfrißt.

Bei Koltès sitzen Baustellenleiter Horn und sein Ingenieur Cal in einem abgeriegelten Camp, Materiallager ihres zivilisatorischen Vorpostens. Sie spielen Karten. Horn hat sich aus Paris Leone einfliegen lassen, ein Dienstmädchen auf der Suche nach Liebe. Brücken und Straßen baut Horn keine mehr, und in Mannheim sieht es eher so aus, als hätten er und sein Ingenieur sich selbst hermetisch eingebaut, um die störenden Urwaldgeräusche fernzuhalten. Ein übermannshoher Zaun aus Eisenplatten umgibt sie.

Trotzdem bricht ein Schwarzer ein, der selbst gegen Cals Karabiner immun zu sein scheint: ein Tiger, dem die kraftlosen Franzosen nichts entgegenzusetzen haben. Er ist da und doch nicht da; eine ständige Bedrohung, fordert er den Leichnam seines auf der Baustelle ermordeten Bruders. Von Anfang an scheint er zu wissen, daß Cal der Mörder ist.

Bruno Klimek, der vergangene Spielzeit mit einigen Inszenierungen für eine Belebung des Mannheimer Spielplans sorgte, stellt die tigerähnliche Gefährlichkeit des Schwarzen in den Vordergrund. Der steht nicht, wie von Koltès vorgesehen, hinter einem Baum, sondern sitzt lange Zeit auf einem Ast des Baumes. Wenn er herunterkommt, ist er voll lauernder Spannkraft und beim Whiskey-Duell mit Horn eine sprungbereite Raubkatze. Klimek führt konsequent durch, was Koltès in dieser Figur anlegte, auch auf die Gefahr hin, daß der geschmeidige Schwarze allzu folkloristisch kauert.

Leone, das Pariser Dienstmädchen im Dschungel, weiß sofort wer vor ihr steht: Sein Blick trifft sie wie ein Blitz, sie nähert sich ihm hochhackig und fasziniert. Der arme Horn wirkt noch armseliger, wenn seine Eroberung zum Helden überläuft — ein Held ist Alboury, daran ließ Koltès keinen Zweifel. Weil der schwarze Tiger so unglaubwürdig wirkt, möchte man dennoch nur den kläglichen Horn und den rassistischen Cal auf der Bühne sehen, wie sie den Mord zu vertuschen suchen und an eine längst verlorene Überlegenheit glauben. Das liegt daran, daß sich Koltès nicht mit einer Konfrontation der beiden Welten begnügte, sondern eine Vision hatte: Er wünschte den schwarzen Kontinent voll animalischer Kraft und dem abgewirtschafteten Mitteleuropa überlegen. Ein einfacher Dualismus, der schon zu Zeiten Joseph Conrads nicht funktionierte.

Conrad hütete sich davor. Koltès neigte dazu, das Exotische zu mystifizieren, und so wurde aus seinem schwarzen Alboury ein Papiertiger. Auch in seinem letzten Stück (Koltès starb letztes Jahr) erlag er dieser Neigung und wählte sich als Exoten „Roberto Zucco“. Auch der mitteleuropäische Gewalttäter hat etwas von einem Tiger und kommt wie der böse Bruder des Alboury aus dem „Kampf des Negers und der Hunde“ auf die Bühne. Anläßlich der derzeit häufigen Inszenierungen des Stücks wird immer wieder angemerkt, Koltès sei es gar nicht um den Mörder Zucco gegangen. Stimmt. Er will, daß einem Raubtier gelegentlich die Pranke ausrutscht. Mann kann sagen, Koltès habe unseren Bühnen damit ein geradezu klassisches, unausweichliches Morden beschert. Vielleicht war er aber nur distanzlos von seiner Vorstellung animalischer Stärke fasziniert.

Dagegen Horn und Cal: Sie spielen Karten, und auf der Mannheimer Bühne wird aus den Figuren das Gegenteil dessen, was Koltès in sie hineindachte. Der lebensstrotzende Alboury bleibt auch auf der Bühne Papier, während die dahinsiechenden Eroberer voller Bühnenleben sind. Cal möchte eigentlich gar nicht mehr spielen, aber was sonst tun? Dem verlorenen Hund nachtrauern kann er noch, winseln, als wär er selbst einer — und an der Seite des Chefs ausharren, der ihn deckt. Eigentlich wäre er selbst gerne Chef, aber dann schlägt der Tiger zu. Tot ist der, den Werner Galas so lebendig spielte.

Leone sitzt im Flugzeug zurück nach Paris und oben auf dem Eisenwall des Camps steht immer noch die riesige Kabelrolle und müht sich, dem an sich geglückten Bühnenbild skulpturale Dimensionen zu geben. Jürgen Berger

Bernard-Marie Koltès: Kampf des Negers und der Hunde; Regie: Bruno Klimek; Bühnenbild: Thomas Armster; mit Ernst Alisch, John E. Yamoah, Cornelia Heyse, Werner Galas; Nationaltheater Mannheim.

Weitere Aufführungen: 15. u. 16.11.