KOMMENTAR
: Scheinheilig

■ Die Attacken der Herta Däubler-Gmelin gegen die PDS

Was bleibt den Sozialdemokraten vier Wochen vor der verlorenen Bundestagswahl? Lafontaine zumindest bewahrt Haltung, bleibt bei seiner Strategie und verbreitet in punkto Wahlausgang den Erfolgsoptimismus, der sich ihm im Zusammenhang mit der Einheit einfach nicht einstellen will. Ansonsten profiliert sich die Partei, der gegen Kohl nichts mehr einfällt, am Underdog im neuen Parteienspektrum, der PDS. Gegen die SED-Nachfolger, die sich mit ihren Finanzmachenschaften ins Aus manövriert haben und deren politische Perspektive sich auch ohne den Millionencoup alles andere als rosig ausnimmt, entwickeln die SPD-GenossInnen echte Nachtreterqualitäten. Das ist zunächst einmal nicht verwunderlich, denn mit dem jüngsten PDS-Skandal eröffnet sich den Sozialdemokraten die Chance, ihre unliebsame Konkurrenz schneller als erhofft loszuwerden.

Trotz dieses rationalen Interessenkalküls und aller berechtigten Kritik an der Erneuerungsfassade der ehemaligen Staatspartei bleibt unerfindlich, warum die PDS führenden SPD-PolitikerInnen wie jetzt wieder Herta Däubler-Gmelin geradezu den Schaum auf die Lippen treibt. Mit Formulierungen aus dem Wörterbuch der politischen Verleumdungen zieht die stellvertretende SPD-Vorsitzende gegen die „SED-Krake“ zu Feld. Sie fordert: Jetzt müssen die Geheimdienste auf das PDS- Vermögen angesetzt werden. Das bedeutet nichts anderes, als daß die SPD fordert, die normalen rechtsstaatlichen Wege und Verfahrensweisen gegenüber der PDS außer Kraft zu setzen. Die SPD fordert öffentlich Rechtsbeugung. Auf die Kraft politischer Argumente und parlamentarischer Auseinandersetzung scheinen die GenossInnen so wenig vertrauen zu wollen, wie auf die Ermittlungstätigkeiten der Staatsanwaltschaft. Ein bißchen mehr Souveränität und Rechtsstaatsbewußtsein hätte man den Sozialdemokraten schon zugetraut.

Die hysterisch anmutende Frontstellung der GenossInnen jedoch läßt sich mit ihrer derzeit hoffnungslosen Position vor den Wahlen kaum hinreichend erklären. Verdrängung der eigenen Geschichte spielt bei den jüngsten Ausfällen eine wesentliche Rolle. Nachdem von der ostpolitischen Konzeption des partnerschaftlichen Dialogs mit den Machthabern nichts mehr übrig blieb als die ohnmächtig-gewendeten Partner von einst, soll mit denen auch die Erinnerung an den sozialdemokratischen Pragmatismus zugeschüttet werden. An Stelle der risikolosen Nachtretereien wartet die Öffentlichkeit noch immer auf die Auseinandersetzung der GenossInnen mit ihrer eigenen Geschichte, in der die Opposition nicht mal eine Nebenrolle spielte. Matthias Geis